Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1983

Tagen. Nicht wahr? So ist es denn meine Pflicht, die Uhr meines Kolibris zu finden. Kommt, laßt uns auf die Suche gehen!" Wir machten uns zu viert auf den Weg zum Park, und während die goldene Sonne das Restaurant Laurier rot und violett erstrahlen ließ, suchten wir n ach der Uhr. Schließlich wurde es dunkel - und wir hatten die Uhr noch nicht gefunden . ,,Komm, mein Schatz", sagte Vater zu Mutter, ,,wir wollen umkehren und morgen weitersuchen . Jetzt werden wir · alle zusammen ein großes Festmahl abhalten und unsere Sorgen vergessen!" Wir gingen miteinander ins Resta.urant La,urier, aßen ein Mahl, das ich nie vergessen werde. Es gab Lachsforelle in Weißwein mit Champignons, eine Kesselpauke voll gebratener Wachteln mi~ Gänseleber gefüllt, ganze Trüffeln in Ölpapier gebacken und von Gänseschmalz triefend, danach Ananas-Moussee mit glasiertem Gebäck. Meine Mutter strahlte. Was mich betraf, so war ich so angefüllt, daß ich einen Augenblick einnickte und den ganzen Heimweg im Halbschlaf zurücklegte. Als wir nach Hause kamen, war meine Mu tter längst nich t mehr so trau rig über die Uhr. Sie ging in ihr Schlafzimmer hinauf, während Onkel Felix und mein Vater eine Partie Schach begannen. Ich schlief auf der 48 Couch ein. Mit einemmal erwachte ich d,a,von, daß ich meine Mutter wie ein Rotkehlchen singen hörte. Sie war noch oben, aber sie sang so laut, daß man sie deutlich hören konnte. Sie sang ganz glücklich : ,,Als du eine Rose trugst, eine gelbe Rose, trug ich eine große rote Rose .. ." Wir blickten einander an, aber ehe wir die Sache richtig überlegen konnten, war Mama schon unten. Sie strahlte übers ganze Gesicht und war rot vor Aufregung. ,,Ich h a,b' sie gefunden!" sang sie, ,,Ich hab ' sie gefunden!" Wir seufzten alle erleichtert auf. „Sie lag unterm Bett. Sie muß auf den Boden gefallen sein, nicht wahr, und dann hab ich sie wahrscheinlich aus Versehen mit dem Fuß unters Bett gestoßen. Ich bin froh, daß ich sie verloren h atte. Denn wenn ich die Uhr nicht verloren hätte, würde ich mich heute abend ganz normal fühl en . Aber jetzt, da ich sie verloren und wiede~gefunden h abe, bin ich so glü cklich wie ein Vogel! " Mein Vater seufzte tief. Er st2,nd auf und küßte meine Mutter ganz zart auf die Stirn. Dann nahm er ih - ren Kopf zwischen seine Hände und schüttel te ihn hin und her. ,,Ach ja" , murmelte er läch eln d. ,,Morgen müssen wir alle ganz krank werden, damit wir uns dann umsoviel besser fühlen, wenn wir wieder gesund sind .. ."

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2