Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1983

DER FREMDE GAST Maria Schedlberger-Durnwalder An der Adriaküste, wo die Bora weht und die schwarze Erde des Akkers mit Steinmauern umhütet ist, damit sie nicht vom Winde vertragen wird. Dort hauste in einem kleinen Anwesen, von zwei Nachbaren auf Rufweite entfernt, die Witwe Penta mit Sohn, Schwiegertochter und einem kleinen Enkerl. Vielmehr hatte sie gehaust. - Es wa,r noch keine drei Wochen hre, als die Mutter der kleinen Ilonka an einem tückischen Leiden verstarb. Der Sohn war wieder zur Arbeit ins Ausland verzogen, um weit genug vom Unglück entfernt zu sein. Im Anfang seiner Ehe hatte es Eifersuchts- und Machtkämpfe unter den zwei Frauen gegeben. Die Mutter, die das Haus in die Ehe gebracht hatte, konnte sich nicht von der Jungen daraus verdrängen lassen. Nur in der Endzeit der Krankheit unterließen sie jedes Wort der Ablehnung oder des Widersprnches. Da hatten sie einander erst verstehen gelernt, und nun trauerte sie ehrlich um die Mutter des Enkels. Großmutter und die Kleine hatten zu leben. Gemüse, Eier und die Milch einer Ziege reichten leicht für sie. Eines Tages spielte Ilonka hinter dem Haus, als scb.nurstraks und sicher eine Katze an der Großmutter vorbeilief, und zur offenen Haustüre hinein. Die Großmutter nahm die Kleine zur Hand und führte sie in das Haus um nachzusehen, wohin die selbstsichere, fremde Katze versd1wunden war. Sie wa,r ihr rätselhaft, um nid1t zu sagen, fast unheimlich. Sie hatte sie nur kurz gesehen, dabei fiel ihr die aschgraue Farbe auf, und eine armselige Magerkeit, die von der Sicherheit der Bewegt.rngen abstach. Sie wollte ihren Augen nicht trauen. Die Katze saß im Herrgottswinkel u . sduoß die Augen. Sie rührte sid1 auch nicht, als die Mutter sie ansprad1 und streichelte. Nur, aJs Iloka auf sie zukam, lief ein Zittern durch den mageren 220 Körper. Das Kid ging und holte eine Schale Mild1 und legte ein Fleisch dazu. Da, kam der Körper erneut zu Fieberschauern. Sie fraß nur, wenn ihr niemand zusah. Ilonka bat die Großmu tter, die Katze behalten zu dürfen, sie sei so arm. Ja, sagte die Frau, wenn sie bleiben will, soll sie ein warmes Plätzchen haben. , · Als die Kleine wieder fort w~, setzte sich die Mutter zur Katze. Da öffnete diese plötzlich die Augenlider, und die Pupille war so groß, phosphoriszierend, unheimlich. Sie sah nad1 oben, fast wie mit Mensd1enaugen, wo vor einem Jahr, nach dem Maler, der Kruzifixus von der Schwiegertochter neu eingelassen worden war. Da er ein Andenken noch vom Vater her war, hatte sie voll Angst gefragt, ob ihrem Herrgott das Platzl wohl noch beibehalten bliebe? Selbstverständlich, ha,tte die Sd1wiegertochter damals gesagt. Heute flüchtete ein fremdes Tier genau darunter hin und öffnete groß die Augen, fast sprechend. Als das Kind wieder kam, durchlief das Tier abermals ein Zittern. Da nahm die Schwiegermutter das Tier auf, streichelte es, aber es blieb fremd und kalt, ohne tierähnlid1 zu sein. Da sah sie, daß in dem aschgrauen Fell, nur bei den Hinterschenkeln, wo die Ausgänge Wa,ren, unter dem Schweif, rechts und links, tiefschwarze, verfließende Flecken. Sie drüdüe das Tier an ihre Brust und versprach es zu behalten, wenn es bleiben wollte, oder durfte. Sie ging mit dem Kind und ließ die Türe in den Hof hinaus offen. Als sie nach einiger Zeit wieder hereinkam und nachschaute, war sie wieder verschwunden. Das Kind trauerte nicht zu lange. „Ach", sagte die Nachbarin, als die Mutter davon sprach, ,,Die wird wiederkommen, sie werden sd10n sehen! " Sie kam nid1t wieder, sie hatte nur einmal Ausgang bekommen, in einer ganz armen Gestalt.

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