Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1983

auch niemand so viel verloren wie Bernd. Der Großvater hatte ihm bei den Schulaufgaben geholfen, er war mit ihm spazieren gegangen ·und hat- ~e seine Spielsachen Teparieil:1tl. Das! alles war vor drei Monaten rnit einem Schlag zu Ende gewesen. Eigentlich hatte es gar nicht zu Großvaters Wesen gepaßt, eines Morgens 'still und blaß im Bett zu liegen, nicht aufzustehen und nicht mehr, wenigstens ein letztes Mal noch, in der vertrauten Art mit dem Kopf zu nicken. Bernd wa.r eine Woche lang verstört herumgelaufen, als habe man ihm plötzlich alle Lebensfreude genommen. Dann hatte er sich beruhigt. Großvater schlief jetzt auf dem Friedhof vor der Stadt, in demselben wie Großmutter, die schon lange dort lag und nun endlich nicht mehr allein wa. Dieser Gedanke war sehr beruhigend. Die Erinnerungen a.n den alten Herrn blieben lebendig wie am er- . sten Tag. Das 11Erbe" des schönen Schreibtisches ließ zwar ein winziges I S_0-uldgefühl in Bernd aufflackern, , loste aber zugleich eine so tiefe ,. Freude in dem Knaben aus, daß es ;• ihm schien, als habe der gute Groß- :_ vater schon zu Lebzeiten beschlossen i, durch, eben dieses prächtige Erbstück 1 den Schmerz seines Enkels zu lindern · den er ihm eines Tages durch sei~ unvermeidliches Hinscheiden bereiten . mußte. !1 1 Wieder fiel Bernd der Kinderball 1ein, und er wußte, Großvater hätte ganz und gar nichts dagegen gehabt , wenn er dieses Fest besuchte. Im Ge~ i genteil! Gar nicht recht wäre es dem ; aJ!en Herrn gewesen, daß. sein Enkel , semetwegen auf dieses Vergnügen '. verzichten mußte. Doch. daran war „jetzt nichts mehr · zu ändern. So , brauchte sich Bernd wenigstens nicht ' den Kopf über eine lustige Kopfbe- ,, deckung zu zerbrechen, die ihm zu : seinem Harlekinkostüm -noch fehlte. Er würde am. kommenden Sonntag j allein daheim sitzen und ,Trübsal bla- :sen. Seine Freunde besuchten natür- · 218 lieh, ,alle das Fest, und seine Eltern gingen wahrscheinlich ins Kaffeehaus , denn dafür war ein Trauerfall kein Hindernis. Der Sonntag kam und es war alles genau so, wie Bernd es vorausgesehen hatte. Kein Freund besuchte ihn, die Eltern verließen um vier das Haus. „In der Küche findest du Kakao und Faschingskrapfen", flüsterte ihm q.ie Mutter zum Abschied in's Ohr und legte für Sekunden den Arm um Bernds Schultern. Dann war der Knabe allein. Zehn Minuten später schlüpfte Bernd in seinen Mantel, setzte seine Mütze auf, steckte die Schlüssel ein und stahl sich aus der Wohnung. Es war ein schneeloser, naßkalter Februartag und der Wind blies scharf um die Ecken. Der Bub zog die Mütze tief über die Ohren und rannte zur Brücke. Dort saß, wie immer, die Frau mit dem schwarzen Kopftuch und verkaufte Blumen. Schneerosen. Bernd kaufte ein Sträußchen und eilte weiter. Bald war er auf dem Friedhof. ,,Ich bringe dir ein paa.r Blumen, Großvater," sagte er und legte die Schneerosen auf den kahlen, noch frischen Hügel. 11Weißt du, heute ist Kinderball. Ich wollte als Harlekin gehen und habe ein wunderschönes Kostüm. Aber Vater hat es nicht erlaubt ..." Dann erzählte Bernd noch dies und das, zupfte ein paar Gräser aus, doch als er Leute auftauchen sah, murmelte er schnell einen Abschied und lief da.von. In der einfallenden Dämmerung hatte er seine Mutter Seit über 105 Jahren ... 5teorerleitung ' Ihr Heimatblatt für Steyr und Umgebung",

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