Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1983

~as :}-a!tt mit C!ttistine. Fortsetzung von Seite 38 Tastende Schritte näherten sich auf dem unbeleuchteten Gang. Die Tür schob i;ich langsam au f. Ein Christbäumchen schwebte ihm entgegen. Die es trug, war Christine. Meinrad sprang auf. ,,Christine, du kommst zu mir?" Er nahm ihr das Bäumchen ab und stellte es behutsam a.uf den Tisch. Der Lehrer wurde von einem heißen Gefühl überwältigt. Er fühlte sich eingefangen von ihren stummen, strahlenden Augen. Ihr verlegenes Gesicht löste sich in einem Lächeln. ,,Ich hab gedacht, Lehrer, du sitzt einsam im Schulhaus und bist verlassen zum Sterben." 1 Als die Kerzen an dem Bäumchen brannten, trug Christine aus dem Vcirhaus noch ein Körbchen weihnachtliches Gebäck herein. Meinrad holte seine Geige aus dem Kasten tlnd spielte das unsterbliche Lied der Weihnacht. · ,Später löschten sie die Lichter und traten mitsammen aus dem Ha.us. Meinrad ·wollte Christine zu ihrem Elternhaus zurückbegleiten. über dem Dorf lag eine kalte, windige Nacht. Als Meinrad wieder zurück in seine Stube kam, spürte er darin noch die Wärme jener Stunde, da Christine ihm Weihnachtsfreude ins Ha.us gebracht hatte. Im Februar brach ein Hochwasser die Gewalt des Winters. Der Sonnenbogen hob sich höher, und der Schatten des Kirchturms verweilte vor den Fenstern der Schule immer kürzere Zeit. Ostern kam heran. In den Osterferien wollte Meinrad einen Freund in der Stadt besuchen, der Redakteur geworden war. Immer noch liebäugelte er mit dem Gedanken, selber. in jene Redaktion ein.zutreten·. Als er die Stadt erreichte, fühlte er kein Verlangen, sofort den Freund aufzusuchen. Es lockte ihn auf einmal, auf den Spuren seiner Jugend am Rande der Stadt zu wandern. Er dachte an den Hügel voll Gebüsch, wo jedes Jahr die ersten Blumen geblüht hatten. Es war magerer Boden, unter dem bald der Fels anstand. Darum war dieser Hang auch noch nicht gerodet und verbaut. Er stieg rasch dahin. Fand er den Durchschlupf zwischen den Sträuchern noch? Alles hatte sich auch hier verändert, nur einige Felsrippen gaben die Richtung an. Oben begann er zu laufen. Das Steingeröll schimmerte hellgrau. Im alten Laub aber schäumte das blaue Blühen des Immergrüns. Meinrad ließ sich nieder. Aus einer ungeloteten Tiefe spürte er Erinnerung wie einen dunklen Gesang. Ein österlicher Hauch strich über den Hang hin. Ach, sie lebten noch alle, die vergessenen Gesichter. Mif dem Nachtzug fuhr Meinräd wieder zurück ins Dorf. Als am Morgen die Osterglocken den Tag einläuteten, stieg er hinauf zur Kirche. „Du bist wieder da?" begrüßte ihn Christine befangen. Sie hatte ihn fern in der Stadt geglaubt. Am Tag vor Fronleichnam trat am Nachmittag Christine in die Schulstube. ,,Willst du wieder Schülerin sein?" meinte Meinrad. „Du weißt den Brauch in unserem Dorf noch nicht, Lehrer. Wir Dorfmädchen möchten heute · am Abend in deiner Klasse die Kränze für Fronleichnam binden. Ich soll dich darum fragen." ,,Ich kann wohl nicht n.ein sagen'" sagte Meinrad lächelnd. Als die Dorfmädchen mit den Körben voll Blumen anrückten, nahm er die Hefte der Schüler unter den Arm 211

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