Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1982

Von Ruth Lackner In einem kleine11 Friseurladen unseres Ortes, wo die Preise sich noch in Grenzen halten, habe ich in der einzigen Zeitung, die dort aufliegt, die Jahresvorschau eines nordischen Sterndeuters gelesen. Ich bin der „Autsteiger des Jahres" . So jedenfalls stand es schwarz auf weiß. Alle Rückschläge und Enttäuschungen des vergangenen Jahres sind vergessen. Uranus hat seinen Einfluß verloren. Von da an ging all es wie von selbst: Konnte ich mich bis jetzt kaum .aufraffen, am Morgen überhaupt aufzustehen, weckte mich nun die Uhr bereits, bevor der Hahn krähte. Ich tapezierte meine Räume im Morgen- _grauen, archivi erte meine Bibliothek, die sehr im argen gelegen war, komplett neu. Ich hämmerte, klopfte, malte, schrieb neue Texte, um die sich die Verleger rissen, kramte meine alte Geige hervor und musizierte bis in die Nacht. Auch komponierte ich eine Hymne, für deren Solostellen große Sänger engagiert wurden. Ich ackerte meinen Garten gänzlich allein um, setzte exotische Pflanzen und Sträucher, die schon bald Anziehungspunkt für große Reisegesellschaften wurden, die von weit und breit anreisten - von so viel Schönheit überwältigt -. Seltene Exemplare von Blumen gediehen so prächtig vor meinen Fenstern, daß sie mit internationalen Preisen ausgezeichnet - in einem Katalog für den Spezialblumenkenner Aufnahme fanden . Meine Hundezucht - bis dahin auf ein paar Fehltritte meiner kleinen, klugen Dackelhündin beschränkt - wmde von Bärntlichen Hundezeit_ schriften als die gelungenste seit „Dämon dem Außerordentlichen" mit „Freia der Friedvollen" erwähnt. Jetzt fletschten 10 gewaltige Rassehunde zur Freude aller, die an meinem Haus vorübergingen, grimmig hinter einer Mauer, die ich eigenhändig in drei Tagen aufgestockt hatte, die Zähne. Auf den Hügeln meines Gartens baute ich Wein an, der schon bald in seiner wundervollen Mischung von Süße und Herbe prämiert wurde. ln den Stunden des frühen Nachmittags zu den Klängen von Mussorgsky - schneiderte ich meine Anzüge selber. Ein großer Modeschöpfer, der eigens aus Frankreich angereist kam, brachte einen Stab von Fotografen mit, der mich in meinen Kreationen aufnahm, um die Fotos sofort mit Expreßluftpost in die Staaten zu schicken, wo ich zum bestangezogensten Mann des Jahres gewählt wurde. Bald webte ich meine Stoffe auf Webstühlen, die ich in kunstvoller Ausfertigung schnell zusammenbaute, selber. Die Nachfrage nach den Mustern meiner Kollektion war so groß, daß .das Postamt im Ort von einem Tag auf den anderen vergrößert werden muiste. Es versteht sich, daß es nach meinen Plänen geschah. Der Eröffnungstag des Postamtes, der zu einer schlichten Feier mit fünf Blaskapellen und dem einmarschierenden Jägerverein des Bezirks gestaltet wurde, rief einen neuen Baustil ins Leben. Man bezeichnete ihn in den Tageszeitungen und in verschiedenen ·Kunstzeitschriften als „AUFSTEIGERSTIL". Man prophezeite ihm eine größere Zukunft als dem Gründerstil. Zur Unterbringung der vielen Gäste, die wegen der Stoffe, der Weine oder der exotischen Gartenanlage den Ort belagerten, wurde jetzt auch ein Hotel im Aufsteigerstil gebaut. Die Rede, die ich zur Eröffnung hielt, wurde in dem Buch „Reden, die die Zeit verändern" aufgenommen. Ein paar neue Zufahrtsstraßen, sowohl für die Umfahrung als a:uch für die Durchfahrt, 63

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