meines Mandanten. (Bei diesen Worten zieht der Anwalt ein nicht mehr ganz sauberes Taschentuch hervor und schwenkt es triumphierend.) Ich fahre fort: So•sieht also die unbeschönigte Wahrheit aus. Leider hat die Verhaftung am 15. Oktober den Angeklagten daran gehindert, seine guten Absichten auszuführen. Das ist aber nicht Schuld des Angeklagten, sondern sein Verhängnis! Ferner: Eine bedeutende Rolle bei der Anklage spielt die Aussage des Zeugen Manjunja, der als Schuhmacher arbeitet und aussagte, daß der Angeklagte Salepuchin am ro. Oktober zu ihm nach Hause kam und ihn fragte: ,Brauchst vielleicht 'n Stück Schwarte?' Die Untersuchung hat sich nicht mit der Frage befaßt, weshalb eigentlich der Zeuge Manjunja am ro. Oktober zu Hause und nicht an seiner Arbeitsstätte war! Dabei hat aber ge_ rade dieser Umstand eine entscheidende Bedeutung. Die Verteidigung besitzt unwiderlegbare Beweise dafür, daß an jenem Tag der Zeuge Manjunja sich auf der Krankenliste befand, weil er ein linksseitiges Zahngeschwür hatte. Der Angeklagte Salepuchin war mit dem Zeugen nur oberflächlich bekannt. Als er jedoch erfuhr, daß Manjunja krank und elend war, eilte er sofort zu Hilfe und fragte: ,Brauch_st du etwa ein Stück Schwarte von mir? Willst du es übertragen lassen? Dann nimm es hin!' Wir alle, meine Genossen Richter, lasen doch schon in den Zeitungen von beherzten und edlen Leuten, die Stücke ihrer Haut kranken Mitbürgern zur Dberttagung anbieten. Der Zeuge Manjunja jedoch, ein Mann mit einem wirren und niedrigen Geist, erkannte in seiner Beschränktheit nicht, daß Salepuchin ihm nicht Leder, sondern ein Stück seiner eigenen Haut anbot." Hier macht der Staatsanwalt einen Einwand: Zahngeschwüre heilt man aber nicht durch Hauttransplantation, Genosse Verteidiger! 11 Krakowjak: ,,Da haben Sie recht, Genosse Staatsanwalt; aber Sie sind 34 ja auch ein gebildeter und kultivierter Mensch! Mein Mandant jedoch hat keine höhere Schulbildung, und die Zeitschrift ,Gesundheit' hat er nicht abonniert. Er handelte spontan und folgte nur seinem Gewissen. Mir scheint, daß also dieser Punkt der Anklage fallengelassen werden muß. Wenn Sie, meine Genossen Richter, jetzt noch einen in halb kindlichen Schriftzügen verfaßten, rührendnaiven Brief des Angeklagten Salepuchin an seine Mutter hören, dann können Sie nicht mehr glauben, daß dieser Brief aus der Feder eines berechnenden und zynischen Verbrechers floß. ,Verehrte Mama! ' schreibt mein Mandant. ,Mir geht es nicht gut. Für die Zeit der Diät nach der Operation bitte ich Dich, liebe Mama, schiele mir doch etwas Roggengebäclc Ich hoffe auch, daß Du mir ins Krankenhaus einige Päclcchen senden wirst, wie Du es schon während meiner letzten Krankheit getan hast. Sowie ich wieder gesund bin, werde ich Dicl1 nicht vergessen und es Dir danken. Weiterhin bitte icl1 Dich nocl1, liebe Mama, meine kleinen grauen Heftcl1en wie Deinen Augapfel zu hüten. Du weißt doch, daß ich diese Bibliothek gesammelt habe und weder Zeit noch Mühe dabei scheute. ' Ich bitte außerdem das Gericht, auch den Umstand zu berücksicl1tigen1 daß mein Mandant nocl1 sehr jung ist. Er vollendete gerade sein zweiundfünfzigstes Jahr, und i.4m steht noch ein halbes Leben bevor. Erinnern wir uns, daß Goethe seinen ,Faust' erst im Alter von zweiundachtzig Jahren beendete. Es unterliegt keinem Zweifel, daß solch ein talentier_ ter und zielstrebiger Mensch wie mein Mandant noch seinen ,Faust' schreiben wird - falls Sie nicht, versteht sich, durch ein hartes Urteil seine leicht verwundbare Seele verletzen. Icl1 bitte also, den Angeklagten Salepuchin freizusprechen, sei es auch nur im Namen &eines zukünftigen ,Faust'! Damit bin ich am Schluß meines Plädoyers."
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