von Karl Springenschmid Ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen, weshalb es sich gerade vor dem Bildschirm so gut schlafen läßt. Es gibt ja auch andere Arten 11zusätzlichen11 Schlafes, etwa den 11Leitartikelschlaf" beim Zeitungslesen oder den 11 Schlaf Seite 3011 , wenn man bei der Lektüre eines Buches einschläft. Doch kein Schlaf ist so erquickend, ja so bekömmlich wie der Fernsehschlaf. Keine Mißverständnisse, bitte! Diese Feststellung soll beileibe keine Kritik am Fernsehprogramm bedeuten. Im Gegenteil! Das Programm tut alles, um uns wach zu halten: es krachen Stühle zusammen, es stürzen Häuser ein, es wird unterwegs geschossen - trotzdem der Schlaf kommt und ist nicht aufzuhalten. Man muß die Probleme psychologisch betrachten. Ich habe folgende Erkenntnis gefunden: Schlafe ich beim politischen Teil meiner Zeitung oder bei einem Kriminalroman ein, so bleibt die Handlung stehen. Es geschieht nichts mehr. Ich falle mit meinem Schlaf sozusagen ins Leere. Schlafe ich aber vor dem Bildschirm ein, so läuft das große Weltspektakel ungehindert weiter. Alles was geschehen muß geschieht unmittelbar vor mir. Ich bleibe, auch wenn ich schlafe, gewissermaßen 11im Bilde". .Dadurch entsteht jenes eigenartige Bewußtsein, das dem Fernsehschlaf seine besondere Note gibt: Ich schlafe und bin doch dabei. Damit sind wir beim Kern des Problems angelangt: Es kommt beim Fernsehen weniger auf das Sehen als auf das Dabeisein an. In welcher Form ich dabei bin, bleibt meine eigene Angelegenheit, in die sich niemand einzumischen hat. Es wäre kindisch, zu behaupten, ich hätte das Programm nicht miterlebt, bloß weil mir dabei die Augen zugefallen sind. 42 Ich 11sehe fern" heißt, ich sehe, auch wenn ich scheinbar fern bin. Darüber hinaus habe ich eine sonderbare Entdeckung gemacht. Immer wieder beobachte ich Menschen, die vor dem Bildschirm ruhig und sicher schlafen, die aber trotzdem, sobald sie erwachen, in der Lage sind, über das, was sie gar nicht gesehen haben zu sprechen, mehr noch, darüber heftige Debatten zu führen. Anscheinend besitzt der Mensch unserer Tage, der Fernsehmensch, ein besonderes Organ, das ihn befähigt, sich auf magische Weise auch im Schlafe die Vorgänge auf dem Bildschirm einzuverleiben. Dazu kommen noch gewisse äußere Umstände, die den Fernsehschlaf begünstigen, obwohl ich diesen keine entscheidende Bedeutung beimessen möchte. Im Theater, im Kino kann ich nicht schlafen, ohne unliebsam aufzufallen, ja, dort wird man meinen Schlaf als eine Art negativer Kritik an den Vorgängen auf der Bühne oder auf der Leinwand auffassen. Vor dem Bildschirm aber bleiben wir 11 entre Nous". Hier wird ein Schlafender niemanden stören, ganz im Gegenteil, sein Schlaf beweist, daß das Programm in Ordnung ist. Ja, erst wenn geschlafen wird, wird es vor dem Bildschirm richtig gemütlich. Dazu tragen natürlich auch die bequemen Sitzgelegenheiten, die sich logischerweise immer mehr in Schlafgelegenheiten verwandeln, einiges bei . Polsterstühle bekommen jedem Programm gut, obwohl ich auch schon Menschen vor dem Bildschirm schlafen gesehen habe, die auf ordinären Holzbänken saßen. Der Bildschirm hat es eben so in sich. Unverantwortlich wäre es, einen Menschen, der vor dem Bildschirm eingeschlafen ist, zu wecken. Es muß jedem selbst überlassen bleiben, wieviel er vom jeweiligen Programm mit
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