Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1974

sieht gleich viel jünger, fast ein wenig lausbübisch, wie die jungen Damen still für sich feststellten. .Nach dem Betreten des Zimmers entzückten sie sechs Kinderbildnisse in zarten Pastellfarben an der Wand, genau gegenüber dem Schreibtisch ihres Prüfers. Ulla meinte: ,,Ach, wie süß! Zum Anbeißen! " Anneliese crkundigte sich: ,,Alles Ihre?" - „Ja", lachte Professor Leuteritz, ,, und alle gesund. Der liebe Gott hat es gut mit uns gemeint und uns zweimal Pärchen geschenkt!" - ,,Ach!" entfuhr es Margret. Der glückliche Vater ergänzte: ,,Die arme Mutti! Wollten Sie das nicht sagen?" - ,,Ja!" - ,,Nun, sie hat es schon ein wenig schrwer g_ehabt, aber wir haben auch doppelte Freude an uns-eren Kindern! " Halblaut sagte Anneliese zu Bernd, ganz die Anwesenheit des strengen Herrn und das, was ihnen noch bevorstand, vergessend : ,, Sieh mal, ist das vielleicht ein Lauser! Und wie ähnlich er dem Vater sieht!" - ,,Sagen Sie es ruhig laut. Sie meinen den Buben hier, ja, unser Jörg!" Anneliese lachte und wollte nicht gleich mit der Sprache heraus. Aber dann tat sie es doch und der Professor lachte herzlich mit : ,,Das sagt meine Frau auch immcr, und die muß es ja wissen! Nun a:ber ohne weitere Vorreden heran ans Werk! Und damit meine Kinder Sie nicht völlig ablenken, kehren wir ihnen jetzt eimnal den Rükken. Und Sie, Fräulein Trampt, sind bitte so freundlich und machen den Anfang. Es geht dann zwanglos reihum. Ihre schriftlichen Arbeiten haben geZ!eigt, daß Sie alle fleißig gewesen sind. Einige kapitale Böcke haben Sie allerdings geschossen. Vielleicht kommen Sie selbst darauf ." Der unbefangene Plauderton des Prüfers hatte alle Nervösität von den jungen Leuten genommen. Es kam zu einem sehr lebhaften Gespräch, ja, sogar zu hitzigen Auseinandersetzungen, bei. denen Professor Leuteritz mühelos den Tiefgang des Wissens seiner Studenten ausloten konnte. „Schade!" sagte er bedauernd beim Abschied. ,,Ich hätte Sie gern in meinen Uebungen geha:bt. " Er gab allen freundlich die Hand und unterrichtete sie über ihre Ergebnisse. Anneliese war mit einer 1, alle anderen mit einer glatten 2 zen54 siert wo,rden. Der Professor lachte: ,,Nun feiern Sie noch schön. Ich habe es auch noch vor". - ,,Zuhause mit den Kindern?" fragte Ulla mit einem verschmitzten Ges-icht und fügte rasch hinzu: ,,Na, da werden Sie wohl ins Examen steigen müssen, Herr Professor! " - „Erraten. Jeden Tag. Meine Trabanten kommen auf die ausgefallensten Ideen! " „Eigentlich müßten wir dem Herrn Privatdozenten ein Glückwunschtelegramm schicken!" schlug Bernd ausgelassen vor. ,,Klar! Daß ibei dem auch gerade Familienzuwachs eingetreten ist, hat uns vielleich gerettet!" - ,,Na, ganz auf den Kopf gdallen sind wir ja auch nicht!" wehrte sich Ulla. ,,Nein, ganz nicht!" erwiderte Bernd trocken. Der Privatdozent bekam sein Glückwunschtelegramm und damit ungeahnte Gelegenheit, seine rasch 'ge,wonnene Popularität an seiner neuen Wirkungsstätte vor seiner staunenden Familie zu demonstrieren. Die glückliche Viererrunde aber erlaubte sich an diesem Abend einen ganz besonders edlen Tropfen und speiste in einem vornehmen Restaurant. Trotz des Pi:otestes seiner drei Damen übernahm Bernd in Spenderlaune die ganze Zeche, nachdem er zur Begründung nur lakonisch erklärt hatte: ,, Von meinem ersparten Geld! " - ,,Wieso erspart!" - ,,Na, ich habe doch das Rauchen eing,estellt!" - ,, Du? Seit wann denn?" - ,,Ab sofort! " lachte der junge Mann. ,,Ehrlich, ich hab' es mir gesch,woren!" - ,,Vernünftig!" stimmte Anneliese ihm ,bei. ,, Deine Kettenraucherei war auch schon nicht mehr feierlich. So tun wir sozusagen ein gutes Werk, uns von dir einladen zu lassen!" Das war natürlich der Gipfd der Unverschämtheit, aber die jun_gen Leute waren in der Stimmung, noch weitere Höhen zu erklimmen. Die Zukunft lag verlockend vor ihnen. Ulla freute sich: ,, Leute, wir sind ganz einfach Sonntagskinder! Haben wir Dusel gehabt!" Bernd bewies Haltung, als er die ansehnliche Rechnung beglich und Ulla zustimmte: ,,Du hast völlig recht, Ulla! Abgesehen davon, daß ich an einem ganz gewöhnlichen Dienstag g_eboren bin, sind wir vier natürlich Sonntagskinder! "

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