Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1974

Eine Examensgeschichte von Hans Bahrs Jeder Eingeweihte weiß es: das Physikum ist eine mächtige Hürde auf dem sonst recht ,steinigen und beschwerlichen Weg zum Arztberuf. Viele stolpern beim ersten Anlauf, weil sie beim besten Willen nicht all das Wissen in ihre Hirne hineinzupressen vermögen, das ihnen bei einem für sie unglücklichen Verlauf der Prüfung ::fbverlangt werden kann. Mancher gibt nach einem solchen Mißerfolg entmutigt auf und versucht nach dreijährigem vergeblichem Bemühen sein Heil auf einem anderen Gebiet unseres akademischen Lebens . Andere setzen nach einem weiteren Semester mit verbissener Entschlossenheit zum abermaligen Versuch an und gelangen glücklich ans Zid. Nicht wenigen gelingt ihr Vorhaben aber auch dann noch nicht und sie müssen resignierend von ihrem Wunsch, einmal als Arzt tätig sein zu dürfen, abla,ssen. Je näher der gefürchtete Termin des ersten Teils des Physikums rückte - die gesamte Prüfungszeit zog sich über melual, sechs Wochen hin und bedeutete eine erhebliche Belastung der ohnehin schon sehr strapazierten Nerven der Studenten - desto aufgeregter wurde der kleine Kreis der Kommilitonen, der sich seit längerem schon bei Anneliese Trompt zum täglichen Abfrngespiel zu treffen pflegte. Immer gewaltiger erschien ihnen der Berg des noch un1bewältigten Stoffes, immer aussichtsloser ihr Entschluß, sich als eine der ersten Gruppen dem gestrengen Prüfer zu stellen. Am Schwarzen Brett im unteren Flur der alten Universität prangten bereits auif einem Anschlag ihre Namen. Professor Wagner, bei dem sie in der Physiologie gearbeitet, bei dem sie Vorlesungen gehört und auf dessen Steckenpferde sie sid1 vöfüg eingestellt hatten, war ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt einer sehr ehrenvollen Einladung zu einem Vortra:gszyklus an einer englischen Universität gefolgt. Aus dem Anschlag am Schwarzen Brett ging nicht hervor, welcher Dozent an die Stelle des berühmten Physiologen treten und das Examen abnehmen werde. Gerüchte schwollen zu Lawinen an, jeden Tag neue und natürlich immer unangenehmere. Da war ein erst kürzlich angereister Privatdozent aus dem Norden, dem der Ruf unnadisichtiger Strenge vorausgeeilt war und der sich auch Fragenden nach Uebungen in einer . sehr hochfahrenden, ja, gerndezu zynischen Art über ihre Unwissenheit und die fast mathematische Sicherheit ihres Versagens im Examen recht unangenehm in Erinnerung gebracht hatte. Am Morgen vor dem entscheidenden Tag saßen Anneliese Trompt, Margret Volpert, Bernd Axenius, und Ulla Mainer mit niedergeschlagenen Mienen um den altmodischen Mahagonitisch versammelt, der Zierde des Domizils des geistigen Hauptes dieser Runde, der von Haus aus eigentlich mehr zaghaften Anneliese, die aber, Gott weiß, durch welchen Zufall, an die Spitze dieses Kr.'!ises •gestellt, nun auch plötzlich nie für möglich gehaltene Energiereserven aus sich heraus mobilisieren konnte, daß sie als erste die Schrecksekunde überwand, die bei Bernds Meldung: ,,Es ist aus/ Der Neue -soll uns prüfen! Madit eud1 auf einen Reinfall gefaßt!" bei allen aufgetreten war. ,,Gerüchte! Gerüchte!" meinte Anneliese mit gespielter Gleidigültigkeit, bei der ihr aber audi nidit ganz wohl war. ,,Gerüchte?" empörte sich Bernd. ,,Dir wird auch das Lachen noch vergehen. Der Assi hat e-s mir anvertraut . Natürlich dürfen wir ihn nicht ,1

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