Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1974

<:JJcutter 51eopolb von Karl Springenschmid Ganz leicht, mit zwei Fingern nur, greift das Schicksal mitunter in das Leben eines Menschen ein. Ein harmloses Loch im Aermel gab dem Schicksal der ,siebenjährigen Maria Mellnigg eine andere Wendung. Sie hatte Angst vor ihrer Mutter. Mutter? Die Kleine hatte schon zu· drei Frauen „Mutter" sagen müssen. Aber keine war so streng gewesen, wie die Frau Waniak, der sie vor einem Jahre zur Pflege zugewiesen worden war. „So ein großes Loch!" schrie sie das Kind an und der Zorn funkelte ,aus ih - ren Augen. Dann aber sagte sie ein Wort, das sie bisher noch niemals ausgesprochen hatte: ,,Such dir jemand anderen, du Wurm, der dir für das Gdd, das ich für dich bekomme, dieses bißchen Geld, deinen Pullover flickt!" ,, ... das Geld, das ich für dich bekomme!" Dieses Wort ließ die kleine Maria nicht mehr los. Es gab also jemanden, der für sie Geld bezahlte! Wer darüber nachdachte, sie konnte niemanden entdecken. Und doch mußte es irgendwo ,einen Menschen geben, einen Mann, eine Frau, der für sie an die Sophie Waniak Geld schickte, nicht bloß einmal, zufällig nur, nein, regelmäßig am ersten Tag jeden Monates. Sie war also gar nicht allein auf dieser Welt. Ein „Jemand" war da, der sich um sie kümmerte. Mit einem Male kam sie sich sehr interessant vor. Jetzt war sie nicht mehr einsam und verlassen. Abends wenn die Frau Waniak zur Bar hinüberging, und es in der Baracke still wurde, betrachtete sie sich im Spiegel. ,,Ein hübsches Kind!" sagten die Leute. Aber das war noch kein Grund, um für sie Geld auszulegen, ein ganzes Jaihr hindurch und weiß Gott wie lange noch. Manchesmal führte sie heimliche Gespräche mit diesem „Jemand", der sich ihretwegen so große Auslagen machte . Vielleicht war es eine vornehme Dame, eine Gräfin, die nachdenklich in ihrem Salon auf und nieder ging und eben den Finger an die zarte Stirne legte. ,,Ach nun hätte ich beinahe vergessen, das Geld für die kleine Maria zu schicken! " Oh, sie mußte unbedingt erfahren, wer dieser „Jemand" war. Natürlich hätte ,sie Frau Waniak fragen können. Aber sie wußte schon im vornhinein, was diese antworten würde. Heimlich ahmte sie die krächzende Stimme nach : ,,Was kümmert es dich, ,du Wurm, woher dieses Geld kommt?" Da steckte sie sich hinter den Briefträger. „Herr Stettinger, wer ist das, der für mich Geld bezahlt?" „Für dich? Du meinst das Geld, das die Frau Waniak bekommt? Wer das bezahlt?" Der Briefträger Stettinger war ein umständlicher Mensch. Endlich brachte er doch ,eine Antwort zustande . ,, Das Amt!" sagte er kurz. Ein großes Wort, das alles war und doch nichts. Amt so sagte man, aber es mußte doch ein Mensch sein, ein Mensch mit einem guten Herzen; denn wer würde sonst soviel Geld für sie bezahlen, ohne sich erkennen zu geben, ohne etwas von ihr zu verlangen, ohne jemals einen Dank zu erwarten. Wieder begann ein Monat und der Briefträger brachte das Geld. Frau Waniak wischte sich die Finger in der Schürze ab und zählte auf der flachen Hand die Geldscheine nach. Als die Kleine dies sah, entschloß sie sich, das Amt zu ,suchen, von dem der Briefträger gesprochen hatte. Sie fragte einfach nach dem „Amt", das soviel Geld ausbezahlt . Kein fretmdliches Haus, in das sie da gewiesen wurde, finstere Stiegen, lange Gänge, endlos viele Türen. Endlich kam sie an die richtige Stelle. 47

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