Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1972

mußt einmal mehr lernen und können wie Großvater und Vater." Im Selbstgefühl der Jugend hatte er dazu genickt. Verloren streifte Vitus seine Schuhe vor der Haustür ab und trat in den dunkelnden Flur. Er war nie ein Mann vieler Worte gewesen, dod1 in dieser Stunde war er froh, einen B1ief bei sid1 zu haben. Schon trat seine treue Haus– hälterin, die Weltlin, aus der Küche und wischte sich ihre Hände schnell an der Schürze ab. Dann erst sah sie in sein Gesicht, das wie ausgelöscht er– schien und ihr starben die Begrüßun,gs– worte. Er reichte ihr den Brief. Vitus klinkte die Tür zu seiner Stube auf und ließ sie hinter sich ins Schloß fal– len. Dumpf hallte es im Hause wider und die Wände frösteiten. Die Weltlin draußen im Flur schluchzte und wischte; Schleier schoben sich vor jeden weiteren Buchstaben des Briefes. Ihre Hände la– gen gefaltet, leer im Schoß; sie starrte vor sich hin. Durch viele Jahre hatte sie fast Mutterstelle an dem Buben ver– treten. Freudig hatte sie die Pflicht auf sich genommen, ohne je nach dem Recht zu fragen. Nun ist dieses mütterlich behütete Leben erloschen. Allmählich fand sie Trost. Er ist nicht tot, er ist nur fern. Er lebt weiter im Gedenken aller, die ihn kannten und liebten. Er hat ausgekämpft und ausgelitten und wartet oben auf sie alle. Die Augen des einsamen Mannes in cer Stube drüben am Fenster saugten sich noch in das Dunkel. Über dem Walde stieg lautlos die Mondsichel em– por und Wolkenfetzen irrten wie große Trauerschleier vorüber. Jagten den Mond und warfen sich über ihn, alles in Dunkelheit hüllend. Doch immer wieder wand sich der Leuchtende frei, wenn er auch wieder der Jagd erlag. Alle dunklen Mächte fielen über den Einsa– men her, rüttelten und wühlten an ihm, bis sein Kopf auf den Tisch sank und seine Hände nach einem Halt suchten. Sie hielten -~nd griffen zu; ein Stück Holz, wie es zur Arbeit vorgerichtet. Er spürte die Härte, die Zähigkeit und die Kühle des Holzes und sein brennendes Herz löschte er an ihm. Holz war gut, war Werk und Leben, Lehm in seinen Händen, ließ sich kneten una formen, ließ sich beseelen. Er griff nach der Lampe und dem Messer; alle seine Qual und Einsamkeit vertraute er dem Holze an. Ein Körper formte sich, göttlicher Schönheit voll und von menschlichem Leid tief durchdrungen. Ein Haupt senkte sich, mit des Leides Dornenkrone belehnt, das höchstes Menschsein mit Gottesdemut trug. Erschöpft legte er die Arbeit nieder, als der Tag zu grauen begann, und bettete sein Antlitz neben das, dem Holz und der eigenen Seele abgerungene Werk. Ein Lächeln der Erlösung nahm er mit in seinen Traum. /,Jarpa hat ja nidtts Ja9,u1en ! Vo11 C/aus Bra11dt Liesdie11 und Albert liebten einander. Sie liebten eina11der so glül1en-d, wie zwei junge Menschen sich nur lieben könne11. Doch Liesdie11 war fest überzeugt davo11, daß ihr Vater nichts von Albert wisse11 wollte. „ Wir müssen fliel1en , Geliebter!" flüsterte sie deshalb eines Tages, ,,fliehen bei Nacht und Nebel, we11n niemand uns sieht und hört! Du wirst midi entführrn, 1ttei11 Geliebter, mit einer Leiter entführe11, die du an mein geöff11etes Fenster lehnst! Und irgendwo, wo es gute, mitleidvolle Me11sdien gibt, werden wir dann die Ringe wechseln!" So also kam die Nacht der Entführung, es war eine cfiunkle Nacht voll schwar– zer Schatten. Aufgeregt packte Lieschen ihre Siebensachen und rief dann vom offe– nen Fenster ihres Käm1nerleins zaghaft in die düstere Nacht hinaus: .,Sei leise, Albert, mein Geliebter, damit mein Vater uns nicht stört!" „ Oh" , brüllte da Albert schonungslos zurück, .ich würde mir an deiner Stelle diesbezüglich keine Sorgen machen! Dein Vater steht nämlich unten und /,,ält die Leiter/" (ici) 34

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