Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1972

Steyrer l(alender zur V NTERHA LTVNCi 11111,1111111111111111111111111111111111111111111111111111111u11111111111111111111111111111111111111111111111111n1111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111111... ,11„UHN .. ERLOSUNG Von Maria Sdtedlberger-Durnwalder Tritt vor Tritt gleichmäßig, als echter Älpler, setzte Vitus Kreider seine Ge– nagelten. Die Nägel rieben am Stein, am grobkörnigen Sand. Es g-ab manchen Mißklang. Nicht anders als in der Welt, wo Völker und Ideen in hartem Kampfe standen. Mit Herzblut ward in solchen Zeiten Geschichte geschrieben, mit Herz– blut unterzeichnet worden. So war es auch heute ihm widerfahren. Schon lange ohne Nachricht von sei– nem Sohne, der an der Ostfront stand, stieg seine Unruhe von Tag- zu Tag. So machte er sich denn auf, um in der Stadt Nachfrage zu halten. Ein Kamerad seines Sohnes war auf Urlaub g-ekom– men. Polen und Frankreich hatten die zwei Seite an Seite durchgestanden. Die Kälte und das Dunkel der Ostfront hatten sie noch fester verbunden. In des Sohnes Briefen war der Name oft auf– geklungen. Des Vaters ganzes Hoffen um seinen Sohn bedeutete dieser Besuch des Urlaubers. Über dessen Gesicht huschten graue Schatten. Wußte der Mann wirklich noch nichts? So mußte er, der die letz– ten Worte bittend und geflüstert über– nommen hatte, sie als erster in ein we– hes Vaterherz tropfen lassen. Es waren Worte, die für ein Leben lang gespro– chen wurden. Stumm hatten sie sich dann die Hände gedrückt. Dann wandte Vitus sich heim– wärts. Am Wirtshaus ging er heute vorüber, ohne daß er seiner Freunde und Alters– gefährten gedachte. Der einarmige Briefträger eilte 'heraus und rief ihm nach. Vitus wandte sich um und schaute ihm verloren entgegen. Als er in der Hand einen amtlichen Umschlag sah, krallte es sich in ihm zusammen. Die Gewißheit, dachte er, und nahm den 2 Brief entgegen. Verleg-en drückte der Emarmige herum. Ob er in der Stadt gewesen sei? Kreider nickte bejahend. „Dann nimm es mir nicht übel; ich habe die Post etwas verzög-ert. - Wir wünschen dir alle von Herzen, du möch– test dich trösten." Was er nicht sagen konnte. das legte e1 in den Druck der Hand, die ihm vom Ersten Weltkrieg- her verblieben. Dann eilte er wieder zurück. Im Gehen riß Vitus Kreider den Umschlag- auf. Hart und groß starrte es ihm entgegen: Ge– fallen am 19. 9. 1942 - alles andere verblaßte. Auf jedem Stein, den sein Fuß trat, sah er es gemeißelt, und am über– sonnten Weg, schien es in Schatten– schrift zu stehen. Selbst die Natur schwieg heute; sie sprach nicht zu ihm; sie lag still und wartete, bis er ihres Friedens und ihrer Schönheit wieder be– wußt würde. Wie eine reife Frucht in der Schale leuchtete das Heimwesen der Kreider aus Bäumen und Wiesengrün ihm entgegen. Nicht groß, aber eigen; und es konnte eine Familie ernähren. Den Winter über lebte Holzschnitzkunst auf; schaffte Schönheit und half aus– kommen, schon von Großvater und Va– ter her. Da stießen sich Kreiders Sinne wieder an einer leeren Stelle und die Wunde blutete von neuem. - Er und seine Frau hatten nach dem Ersten Welt– krieg den Buben ins Leben g-erufen und stramm und brav erzog-en. Als er die Mutter nur allzubald verlor, hängte er seine ganze Liebe an seinen Vater. Was war das für eine Freude gewesen, als er dem Vater das erstemal das Schnit~ messer aus der Hand nahm und ver– ständig und versonnen die ersten Schrit– te in das Heiligtum der Kunst tat. „Bub", hatte er da gesagt und seine Au·gen leuchteten selbstverg-essen, ,,du 33

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