Vollcslcuitut-luzute Professor Franz Vag/ Sind die vielfältigen Bemühungen um unsere Volkskultur ernst zu nehmen? Haben sie in unserer fo11tsch1ittlichen Zeit überhaupt noch eine Daseinsberechtigung und kommt ihnen im Zeitalter der Technisierung, Perfektionierung und weltweiten Zusammenarbeit noch irgendwelche Bedeutung zu? Manche Kreise meinen zur Volkskultur und ihren Werten keinerlei Verhältnis mehr zu haben und wissen damit nichts anzufangen. Andere halten die Bestrebung-en für die Volkskultur für eine überholte Angelegenheit und nicht wenig-e sind der Meinung, es handle sich dabei um eine Art romantischen Hobbvs. Solche berechtigte Fragestellung und solch kritisches Abwäg-en zwingen zu ernsthaftem Ueberprüfen und verlangen Stellungnahme. Kultur - um mit Worten Goethes eine treffliche Definition zu geben - ist geprägte Form, die lebend sich entwickelt. Kultur gestaltet das Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft und äußert sich im breiten Spektrum vom hohen Kunstwerk bis zum schlichten Volkslied, vom zeitentiberdauernaen Schaffen unserer Großen bis hinein in die übeneichen Schatzkammern der Volksgüter. Es ist demnach die Volkskultur ein integ-rierender Bestandteil der Gesamtkultur. Diese Volkskultur hat mit das geistige Antlitz des Abendlandes , aber auch Wesen und Bild unserer Landschaften und ihrer Menschen geprägt: die Gehöfte und Siedlungen, das Ortsbild mit seinen Gotteshäusern , Gedenkstätten und Friedhöfen, die Volkskunst mit ihren reichen Schätzen bildlicher und -c.rnamentaler Darstellung, das trachtliche Erscheinu-qg-sbild der Menschen unserer Täler und Landschaften in ihrer historischen Würde, aber ebenso in ihrer gegenwartsnahen, erneuerten Kleidsamkeit, Lied und Musik, Spiel und Sprache, Märchen, Sage und Volkserzählung, der bodenständig-e Tanz, die jeder Landschaft eigene Geselligkeit, Fest und Fe:ier, Sitte und Brauch; all diese reiche Vielfalt lebt noch in weiten Bereichen des alpenländischen Raumes und wird sich, wenn man sich dafür einsetzt, behaupten und auch weiterhin bewähren. Auch für das erstrebte, künftige gemeinsame Europa bilden die Volkskulturen cin wesentliches Fundament. Darüber liegen von der geistigen Fühmn.gsschichte' aus fast allen Ländern und Völkern eindrucksvolle Bekundungen vor. So meint - um nur zwei Stimmen zu zitieren - der verdienstvolle P_;-äsident der EWG-Kommission Professor Hallstein: ,, Man würde Europa eines seiner wesentlichsten Wertt. berauben, wenn man an ein informes Europa dächte. Der unendliche Reichtum europäischer Verschiedenheiten soll in der europäischen Einheit nicht vernichtet, sondern aufbewahrt und zu einer Quelle unablässiger geistiger Befmchtung gemacht werden. Nur dann kaim dieses Europa den Glanz und die Kraft gewinnen, die wir ihm wünschen, damit es eine ihm zukommende Rolle im Konzert der politischen Mächte spielen kann." Und ebenso bestimmt äußert sid1 Dr. Eugen Gerstenmaier, der ehemalige Präsident des I)_eutschen Bundestag-es: ,,Die Integration, deir Zu'sammenschJuß, den wi!T meinen, kommt nicht zustande durch die Desinteg-ration, durch den Abbau der nationalen Kulturen~ sondern diese Einägung- lder europäischen Völker kommt nm:.. zustande in der treuen Bewahrung der g-ewa::hsenen na,- tionalen Besonderheiten und Geschlossenheit, in einer auf Gerechtigkeit und auf den Wohlstand. aller bedachten und 41-
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