Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1969

lenz neigende Dame mittleren Alters kam gemächlichen Schrittes auf das Denkmal :zu. Eine Weile betrachtete sie das steinerne Bild des Dichters und anschließend mich. Ich fühlte mich leicht irritiert. ..Heißen Sie Hermann?" hörte ich sie unvermittelt fragen. Ich glaubte mich verhört :zu ha:ben. ,,Wie bitte?" fragte ich. ,,Ob Sie Hermann heißen, habe ich gefragt!" Sie hatte eine rollende Stimme wie eine Schauspieltragödin. ,, Ja, alletdings, aber . .. äh .. . wieso?" stotterte ich. Ihre scharfen hellbraunen Augen durchbohrten mich. · „Ich bin Evas Mutter. Unterlassen Sie in Zukunft diese Albern11eiten! Da haben Sie! " Sie gab mir den Zettel, den ich in Evas Physikbuch gelegt hatte. Mein Gaumen wurde trocken. „Ich habe das Geschreibsel in Evas Physikbuch gefunden. Sie hat den Zettel noch nicht gesehen." Wmigstens ein kleiner Lichtblick in meiner trüben Lage. ,, Physik ist nämlich mein Steckenpferd . Ich schmöckere gern im Physikbuch. Übrigens, haben Sie die Arbeit über die Radioaktivität schon geschrieben?" „Natürlid1, selbstverständlich, gnädige Frau", beeilte ich mich zu versichern. Ihre Augen bekamen einen harten Glanz. „Nun, dann können S,ie mir ja di e Umwandlung des Radiiums in stabiles Ble-i erklären . Mit allen Zwischenelementen natürlich". Von Claus Brandt Es hatte Krach gegeben zwischen der Gnädigen und Minna. Die Folge war, daß die Perle Knall und Fall entlassen wurde. Bevor sie aber ging, machte Minna ihrem Herzen nocil einmal Luft. „Zunächst," stellte sie fe·st, ,,bin ich hübsch er als Sie. Das hat mir der gnäcl.ige Herr gesagt ." Di e Hausfrau reagierte nicht. Ich faselte etwas von Alphastrahlen, Radon und Wismut. „Das war dürftig, junger Mann, sehr dürftig. Aber vielleicht wissen Si e über den Comptoneffekt der Gamma- und Röntgenstrahlen mehr. " Ich wußte nicht nur nicht mehr, sondern überhaupt nichts. Evas Mutter wurde mir unheimlich. Ihre hellen Augen nahmen die Blickschärfe eines H~bichts an. „Aber das Experiment Rutherford im Jahre 1919 wird Ihnen wohl bekannt sein. Was hat er damals gemacht?" Mir standen schon die Schweißtropfen auf der Stirne. Ja, was hatte dieser Bursche, dieser Ruth erford im Jahre 1919 überhaupt gemacht? „Ich weiß es leider nicht, gnädige Frau" sagte ich mit versagender Stimme . Kurzum, Freunde, meine Physikprüfung durch die ehrbare Gattin eines Landesgerichtsrates vor dem Goethedenkmal endete in einem wissenschaftlichen Debakel. ,, für Sie junger Mann wäre es besser, 1hre Nase in die Sdrnlbücher zu stecken als Mädd1en nachzustellen" . Sprach's und eilte festen Schrittes davon, eine Duftwolke herben Parfums zurücklassend. Ein Rendezvous mit Eva hatte ni emals mehr stattgefunden. Id1 habe damals einen scilweren Scil.ock erli t ten, einen Rendezvoussd1ock sozusagen. Uncl , meine Fre'llnde, ob Ihr es glaubt oder nicht, noch heute gehe ich mit gemi schten Gefühlen zu einem Rendezvous. „ Und dann, " fuhr Minna fort, .. stehen mir Ihre Kl eider besser als Ihnen. Das hat mir aud1 der gnädige Herr gesagt . '· Die Hausfrau zuckte nur mit den Achseln. „Dri t tens, aber, " spielte Minn a ihren besten Trumpf aus , ,,küsse ich wesen tlich besser als Sie! " „ Unverscilämthei t," wütete da die Gnädi ge . ,, Das soll mein Mann ebenfalls gesagt haben? " „Nein ," erwiderte die gekündigte Perle. ,, Das weiß ich vom Chauffeur und vom Gärtner ... " 61

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