5.Bebor eß /3er6ft tufrc5 Veronika Handlgruber-Rothmayer Nun ist auch der Hafer schon unter Dach. Aber die Sonne bre1111t noch immer auf die abgeernteten Stoppelfelder nieder, und im Hof hat sie sich heiß im roten Weinlaub verfangen, das zärtlich die Südmauer des Hauses emporklettert. Es will noch immer nicht Herbst sein. Ob sie heut abends mit zum Tanz gehe, hat Martin die Anna gefragt und .1 hr dabei ins Gesicht geschaut, wie man einer jungen Dirn in die Augen blickt. Sie hat dem Großknecht noch nicht ge · antwortet. Sie will sich erst besinnen, was ihr Herz zu dieser Aufforderung sagt, sie will den halbbli.nden Spiegel in ihrer Magdkammer befragen, ob es sich für ein ältliches Mädchen noch schickte sich im Tanzsd1.ritt zu drehen und den Männern im Arm zu liegen. Das Herz, bang vor Ungeduld und Sehnsud1t, sagte schnell ja zu Martins lachenden Augen. Nod1einmal steht die Versuchung eines späten Glücks auf, und die Seele der Magd, müde der Entsagung, sehnt sich, mit verlangenden Händen in die Fülle des Lebens zu greifen. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, dem Martin zu sagen, daß man inuner gut war. Vielleimt bringt der Herbst noch warme, laue Abende, die sich das Erbe eines reichen, blühenden Sonuners in die do:rfstille Dämmerung gerettet Jiaben? Vielleicht mag sim das Herz nocheinmal emporschwingen aus dem Kreis dumpfer Pflichten und kleinlid1er Nöte, in die Höhen eines wissentlich genos • senen Glücks? So sehr wie heute bat sie es nie gefühlt, dieses Sehnen, sich im Geb'en ganz zu erfüllen. Ad1, es! ist noch inuner Sommer! Über dem Sinnen um dieses verheißungsvollen „ vielleicht" vergißt die Magd Anna, ihr Gesicht, das in seiner mädchenhaften Unberührtheit noch immer seltsam jung aussieht, im Spiegel zu betraditen. Und das ist gut so. Denn die klare Frisd1e der Augen und Wangen hätte ihr eine voreilige Zusage auf die Lippen gelockt. Etwas unwillig blickt sie jetzt iauf den Knaben, der sich vertraulid1 und unbekümmert zur Tür hereinschiebt, die Nähe der Frau sudiend, die seit dem Tod der Bäuerin Mutterstelle an ihm vertritt. Es ist das erste Mal, daß Annas Herz nicht freudiger schlägt, während slich das junge Leben an sie drängt, während ein Kindermund zu fragen beginnt, ernsthaft und we-ltgründig, während ein erstaunter Kinderblick sich in die Güte ihrer Augen versenkt. „Wenn der Herbst kommt, kann ich Drachen steigen lassen, gelt?" fragt der kleine Stefan fröhlich und blickt erwartungsvoll auf die Magd. Und nach einer Weile des Schweigens ruft der Buh laut und erfreut: ,, Du Anna, es isc smon Herbst! In deinem Haar hängt ein Faden Altweibersommer, schau! " Während sie sich im Spiegel besieht und die jähe Erkenntnis sie anfällt. daß ein erstes, silbergraues Haar ihren dunklen Scheitel durchzieht, ein verblichenes Haar, das dem Knaben als ersehnter Bote des Herbstes ersdieint, dringt das Kind tiefer in ihre mütterliche Güte: ,, Wirst mir heute Abend die versprod1ene Geschichte erzählen, liebe, gute Anna?" Sie ist auch jetzt nicht flink mit einer Antwort. Ach, Stefan weiß nicht daß heute im Dorf unten getanzt wird, und daß Martin, der Großkned1t, sie aufgefordert hat, mitzugehen. Plötzlich schlingt der Knabe zärtlich und schmeichelnd seine Arme um ihren Nacken und beginnt zu bitten und zu betteln in kindlicher Eindringlichkeit und Ausdauer. Und davor wird ihr Herz schwach und nachgibig, dieses Herz, das nie vor den Worten eines Mannes weich und willfährig g-eworden ist. ,,Ich hab Dich lieb, Anna, so lieb!" meint der Bub leise, nachdem sie mit 55
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