ein Mädchen, das sie nach der Mutter Anna taufen ließen. Seht dieses einfache Leben meines Ahns r Es war erfüllt von der Liebe zur Erde, aber er sprach niemals davon. Und es war erfüllt von der Sehnsucht nach fernen · Ländern, wie auch mein Vater sie im Blute trug. Urgroßvater Michael ging in c!.er arbeitskargen Zeit des spä - ten Herbstes und des Winters viel im Land herum, er frönte derart seiner Lust zu wandern und neue Gegenden zu sehen. Deshalb ist er wohl auch so gern Hochzeitbitter gewesen. Ja, das muß für ihn ein schönes Amt gewesen sein, mit dem festlichen Bratenrock und dem schwarzen, breitkrempigen Seidenhut bekleidet, den bänder- und blumengeschmückten Stab in der Hand, Gäste für die Hochzeiten einzuladen. Das mad1te ihn beliebt bei den Leuten; denn eine Bauernhochzeit in meiner Gegend ist ein herrliches Fest, dem man mit Freuden ,beiwohnt. Und Ahn Michael verstand es, dem Amt des Hochzeitbitters zu genügen, er hatte Ansehen, die Bauern hielten auf sein Wort. Er wußte, was in der Welt vorging, und er wußte auch, wer Gast an einer Hochzeitstafel sein durfte und wer nicht. Und die Bauern meiner Gegend halten viel IDie frirnbofuögrl Veronika Handlgruber-Roth11-iayer 50 auf Ehrsamkeit und Rang und Stand. Vielleicht sind sie etwas zu stolz, aber sie achten jeden, der ihre Gepflogenheiten wiederum achtet. Meinem Urgroßvater erging es da gut mit ihnen, sie schätzten ihn nicht etwa gering, weil er nur ein kleines Haus besaß . Nein, sie kannten ihn genau. So hat mein Ahn Michael gelebt, er wurde über achtzig Jahre alt dabei. Und bis an sein Ende arbeitete er auf seinem Acker und seiner Wiese, und der Tod selbst nahm ihm den bänder- und blumengeschmückten Stab des Hochzeitbitters aus der Hand, ja, anders hätte es mein Urgroßvater auch gewiß nicht gewollt. Er sagte seine Sprüche in den Häusern der Geladenen, und jedes Jahr machte er einen neuen dazu . Das liebe ich besonders an ihm. Denn obgleid1 ich keine Sprüd1e machen kann, so glaube ich dod1 fest, daß mir mein Urgroßvater Michael die Fähigkeit vererbt hat, etwas aus der Freude meines Herzens· und auch aus seiner Not an die Öffentlichkeit zu tragen, damit sie dort das Gute und das Sd,öne weckten. Ahn Midiael tats mit seinen Sprüchen auch aus keinem andern Grund. Ich weiß es heut. Sie hommen des Morgens in Schwär,,nen ,md singen den Toten ihr Lied. Sie lassen zu Mittag sich wärmen vo1,n Licht der Sonne. Mit Lärmen ziehn sie am Abend zum Ried. Sie hochen auf Kreuzen und Steinen i111 Regen , als leblose Fracht , gelassen der Trauer11den Weinen beäugend. Aus Urnenhainen /.iusd1en sie fort in die Nacht. Sie lösen aus ehernen Zügeln mit ihrem Gesang den Schmerz , und streifen 111it dun/den Flügeln das Leid von den irdischen Hügeln 1md tragen es sternenwärts.
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