Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1968

Laura Erlacher: 6ebonhen im ßebel Wie seltsam sich doch die sonst so -vertraute Landschaft verändert, wenn der Nebel darüber liegt. Nicht der dünne, ziehende Nebel, der die Vision von flatternden Schleiern erstehen läßt, nein, der dicke, alles verhüllende Dunst, der ganz zu Recht als „des Teufels Waschküche" bezeichnet wird. Mitten in i hn hineinzugehen, ist ein Erlebnis besonderer Art. Man wird das komische Gefühl nicht los, man habe in den brau- .enden Dunst mit der eigenen Person einen Gang gegraben, wie ein Tunnel. Obwohl die Sonne längst am Himmel .steht, vermag sie es noch nicht als Siegerin zu glänzen, nur schwach und silbrig matt erhellt sie den grauen Dunst des Septembern10rgens. Irgendwo schwebt kreischend eine Krähenschar. Man sieht sie nicht, nur hin und wieder -einen gespensterhaften Schattenriß der flatternden, dunklen Körper, wenn sie ein wenig tiefer fliegen. Mißtönend ist ihr Geschrei, wie eine Klage um el)tschwundene Wänne und Sorgenlosigkeit. Alle Angst der Kreatur scheint darin zu liegen - die Angst vor dem immer wiederkehrenden Hunger und der mordenden Kälte - die Angst vor langen Winternächten, wo ihre zitternden Leioer dem Morgen und der Helle entge- _genbangen. Doch ist's noch nicht so weit - man -tröstet sich so geeme selbst damit - noch folgen schöne Tage den trüb verhangenen Stunden am Morgen. - Doch auch der Nebel zeh,t uns man- -ches Schöne. Hin über Hecken und ·feuchtschimmernde Zäune, von Blume zu Blume, von Zweig von Zweig schlingen sich die Fäden der Spinnen, perlenoe.;etzt und gjlitwmd, wie vergessene Girlanden eines nächtlichen Feenfestes. Im Licht der Sonne kaum beachtet, ge- .winnen diese zarten Wunderwerke plötzlich an Bedeutung, je enger der Horizont den Blicken gezogeen ist. Das sonst meist übersehene, wird jetzt viel wichtiger genommen, wohl aus dem dankbaren Gefühl heraus, überhaupt irgend etwas zu sehen in dieser grauen Nebelöde. Gehüllt wie in weiche Watte stehen die großen und kleinen Häuser neben der Straße. Kaum daß man die Umrisse erkennen kann, nur die Lichter aus den Fenstern schimmern wie Sterne durch den Dunst. Sterne, die Geborgenheit und 'Närme verheißen. Wehe dem Einsamen, dem diese Sterne erloschen ... er müßte an seiner Bangnis vergehen an diesem Morgen. - Irgendwo weint kläglich ein Kind. Es ist, als weinte es aus unendlicher Verlassenheit heraus, und diese wimmernden Töne zerren an den Nerven, viel mehr, als wenn es am hellen Tag weinte, wo kein Nebel wie eine undurchdringliche Mauer zwischen seiner Klage und unsrem Mitgeefühl steht. Nie ist man so allein mit sich und seinen tausend Gedanken und Empfindungen wie im dichten Nebel. Menschen huschen schattengleich vorbei, und eh du sie er.., kannt, sind sie verschwunden. Wie im Erdenleben - so fährt es mir schmerzhaft durch den Sinn. Jäh steigt ein Bild empor aus bösen Tagen. Nach langem Fliegeralarm hasten ganze Menschenschlangen heraus aus den Kellern in die schwarze Nacht. Schwerer, undurchdringlicher Säurenebel liegt über dem ganzen Weichbild der Stadt, leget sich schwer auf di e Lungen der lufthungrigen Menschen und bringet ihre Augen zum Tränen. Körper an Körper, wie eine schlafmüde Herde, so dränget man sich heim, unabsichtlid1 stoßend und benommern. Kein Licht erhellt die Szenerie, nur hin und wieder geeistert der schwache Strahl einer abgeeblendeten Taschenlampe über die Füße deir Mengee. Kaum wagen die Leute zu sprechen. Da plötzlich die angstvolle Stimme meiner Mutter, die von mir getrennt wo,rden war: ,.Mein Gott, wo bin ich, ich sehe niruts . . . ich sehe nichts ... ich fürchte mich .. . wo bist du? " Inmitten vieler Menschen war 69

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