Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1968

Veronika Handlgruber-Rothmayer: 6.):(9 erschrocken auseinanderstob, flüchtenden Tauben. gleich Onhel Emil mortet ouf ben f rühling Kinder hatte er nie leiden mögen, der alte, knöcherige Mann mit der Habichtsnase und den kalten, grauen Augen. Sein ganzes Junggesellenleben lang nicht. Vielleicht hatte er auch deshalb nicht geheiratet, damals, vor mehr als dreißig Jahren ... Sein Umgang mit dem weiblid1en Geschlecht beschränkt sich auf das nötige Verhältnis zu seiner Bedienerin, die- seine ungerechtfertigten Feindseligkeiten mit bewunderungswürdigem und gutmütigem Spott ertrug, auf den zermürbenden Kampf mit seiner Milchfrau, welche die Unverschämtheit besaß, ihn warten zu lassen, bis alle weiblid1en Kundsd1aften bedient waren, und auf die knappen Sätze über das jeweils herrsd1ende Wetter, die er beim morgendlichen Zeitungs- und Zigarreneinkauf mit seiner Trafikantin, einer reizlosen Witwe, wechselte. So war er einsam alt geworden, ein Spießer, der mit sich und der Welt haderte, den kaum jeman:d kannte, der nie11)als Freunde besessen. Und Kinder konnte er nun einmal nicht ausstehen. Ihr Lachen, ihre Ausgelassenheit waren ihm zuwider, ihre Hilflosigkeit und ihr Weinen stießen ihn ab, ihre bunten, hellen Mützen gingen ihm auf die Nerven. Während der warmen Jahreszeit saß er tagsüber oft im nahen Park, las Zeitungen und rauchte. Seine Rente war nicht hod1, doch konnte er sich diese beiden bescheidenen Freuden, nämlich Lektüre und Zigarren, bei seiner sonstigen Anspruchslosigkeit leicht leisten. Wenn er heimging, gelüstete es ihn manchmal, seinen Weg über den Kinderspielplatz zu nehmen und mit bitterböser Miene oder einem drohenden Ruf in die junge Schar zu stoßen, die dann Eines Tages aber geschah etwas ganz Unvorhergesehenes: Vor ihm stand ein kleines Mädel mit einer grellroten Mütze und verlangte eindringlich, er sollte mit den Kindern spielen. Der alte Mann war darüber zunächst so sprachlos, daß ihm die Zeitung entglitt, die die Kleine artig aufhob . Entgeistert starrte er auf die holde Botin, die ihr Begehren nlit rührender Selbstverständlichkeit und erhöhtem Nachdruck wiederholte. Die Ungeheuerlichkeit des Ansinnens überrumpelte den Alten dermaßen, daß er aufstand und dem Kind einfach folgte. Er wußte selbst nicht, wie alles geschah. Bald war er der „Onkel Emil", der gehorsam im Kreise mitsprang, (wie wenig Luft er dabei bekam, bemerkte er gar nicht) der ergeben das Pferd spielte und die Kinder im Gallopp durch den Park zog, er war auf Wunsch der ,. schwarze Mann" und mußte die ausgelassene Sdia.r fangen, was ihm wegen seiner Langsamkeit natürlich nie gelang. Mitunter war er auch nur der „gute Geist", der eine gelöste Haarmasche wieder festband, ein Sdrnhband neu einfädelte, auf ein wundgeschlagenes Knie blies oder sein großes, praktisches Taschentud1 lieh. Er freute sich nun von einem Tag zum anderen, und wenn die Kinder einmal versäumten, ihn zu holen, war er ganz krank vor Kummer und Enttäuschung, mochte weder rauchen noch lesen. Eines Tages kam die Kleine mit der roten Kappe wirklid1 nicht mehr. Onkel Emil wartete verzweifelt auf das Auftauchen der nun geliebten Mütze, doch es war vergeblicli. Am Blättergilben konnte man den Herbst erkennen, das Lachen und Lärmen auf dem Kinderspielplatz verstummte allmählid1. Als der erste wässerige Sclinee die Bank bedeckte, auf der Onkel Emil zu lesen, rauchen und auf die Kinder zu warten pflegte, unterließ er es, sicli niederzusetzen. Seufzend holte er sein Taschentuch hervor und schneutzte sich laut und umständlich. Zum Teufel! Er bekam docli nidlt etwa einen Schnupfen! Oder war es die Sehnsucht nacli dem neuen Frühling, die ihm so arg zusetzte? 57

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