Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1968

Gescl.,ci{t mit clem Tael Erzählung von Maria Osten „Sonst noch einen Wunsch, Fräulein Bergner?" sagte der Kaufmann, ,,Obst vielleid1t? Oder Brot? " ,, Nein, danke, ich habe noch genug zu Hause," antwortete die Dame, " Wenn man allein ist, braucht man ja nicht viel ... Auf Wiedersehen!" ,, Auf Wiedersehen, Fräulein Bergner !" ,,Eine hübsche Frau, noch immer!" murmelte irgend jemand anerkennend hinter ihr her, ,,Der würde niemand ihre vierzig Jahre ansehen!" Das stimmte. Manche Jüngere hätte Angela Bergn:er um die fast mädchenhaft zarte Anmut ihrer Erscheinung, ihre von reichem, braunem Haar umrahmten, feingefomiten Gesichtszüge und um den warmen Glanz ihrer dunklen Augen beneiden können. ,,Daß sie nicht geheiratet hat - eigentlich zum Staunen . . .", bemerkte jemand anderer. „Tja, wer weiß, vielleicht hat es nicht sein sollen." Damit war die Sache abgetan und der Kaufmann fuhr in der Bedienung der Kunden fort. Ja, es hatte wohl wirklich nicht sollen sein . . . Wie lange war es her, daß sich Angela Bergner mit Fritz Kormann verlobt hatte? An die zwanzig Jahre mußten es sein . . . Angela hatte damals ihre erste Anstellung als Volksschullehrerin erhalten. Als einziges Kind eines Staatsbeamten in mittlerer Position war sie in einer sehr behüteten und geborgenen Atmosphäre aufgewad1sen. Während der Sommerferien hatte sie Fritz in einem kleinen Gebirgsdorf kennengelernt. Er war ein junger Mann von gewinnendem A ußeren, stets höflich, zuvorkommend und korrekt. Kein Wunder, daß die beiden jungen Leute bald Gefallen aneinander fanden und sich bei gemeinsamen Wanderungen in der herrlichen Landschaft rascher näherkamen, als in der Stadt dies vielleicht der Fall gewesen wäre. Aber auch Angelas Vater fand an dem jungen Mann nichts auszusetzen. Fritz war zwar nicht vennögend, hatte jedoch als Ingenieur bei einem großen Unternehmen eine aussichtsreiche Zukunft vor sich. Es sdlien also nichts gegen eine Heirat zu spred1en und im Spätherbst wurde Verlobung gefeiert. Nun galt es zunächst einmal, das Wohnungsproblem zu lösen. Das war nicht ganz leicht. ManchmaL träumten die beiden davon, wie schön es wäre, ein eigenes Heim zu haben, draußen am Rande der Stadt, mit einem Garten, fern von den bedrückenden grauen Häuserzeilen ... ,,Aber," meinte Angela, ,,bis wir es so weit bringen, vergehen mindestens noch dreißig Jahre - außer, einer von uns gewinnt plötzlich das große Los!" In ähnlicher Weise äußerte sicli auch Fritz zu seiner Quartiergeberin, der er von seinen Heiratsplänen Mitteilung gemacht hatte. Diese antwortete nicht gleicli. Es ging ihr etwas durd1 den Kopf. Sie sah plötzlicli ihre alte Bekannte, Helene Schäfer, vor sich, die in ihrer Gartenvilla da draußen ein so kümmerliches Dasein fristete. ,,Was nützt mir das Haus!" hatte sie geklagt, „Es verfällt immer mehr und ich kam1 von der kleinen Alterspfründe kaum leben ... " „Ich wüßte sclion etwas", sagte die Venniete1in langsam zu Fritz. ,,Kaufen Sie dod1 ein Haus auf Leibrente! Sie sind jung und in gesicherter Stellung; ihre Braut auch -" Und sie sd1ilderte ihm den Sacliverhalt. Fritz sdlien der Vorschlag sehr zuzusagen. Er notierte dch sofort die Adresse und fuhr am nächsten Sonntag zu Frau Schäfer, die bereits von ihrer Freundin vorbereitet war. 49

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