Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1968

Damit enthüllt er uns Stück für Stück das Geheimnis, während die kleine Frau die Bowle braute, eine ausgezeichnete Bowle übrigens mit selbstgezogenen Erdbeeren. Also: Wochenlang waren die beiden im gleichen Wagen der Vierzigerlinie gefahren, er zu Maffei, sie in die EmilRiedel-Straße. Aber er war erst vor kurzem heimgekommen; den ganzen Krieg hindurch war er Pionier gewesen, Spezialist im Häuser- und Brückensprengen. Das hing ihm noch schwer an. Schließlich wagte er einen Gruß, der kurz und fremd, keinegswegs einladend erwidert wurde. Was wußte er auch von dieser Frau, die da schmal und blaß jeden Morgen in der Straßenbahn saß? Seltsam, immer trug sie Handschuhe. Einmal, als ihr ein Geldstück zwischen die Latten des Fußbodens fiel, streifte sie die Handschuhe ab. Da sah er, daß die Fingernägel schwarz verätzt waren. Der Zusammenhang war nicht schwer zu ergründen: In der Emil-Riedel-Straße befand sich eine Werkstätte für Christbaumschmuck - die Silberlösung greift die Nägel an. Aber noch eines hatte er dabei gesehen: Diese Frau trug zwei goldene Reifen am Ringfingner der linken Hand, also Kriegerswitwe. Diese Erkenntnis hätte ihm Mut machen können. Aber anscheinend hatte er allen Mut im Kriege verbraucht, für den Frieden war ihm nichts übrig geblieben. Es war schon viel, wenn er ein paar Worte sagte: ,,Schönes Wetter heute!" oder dergleichen. Manchmal lächelte sie darüber, doch sozusagen nur am Rande. Immer blieb sie still, in sich gekehrt. Oder irrte er sich? Sollte dieses rätselhafte Lächeln mehr bedeuten? Ach er hatte niemals viel von den Frauen verstanden und dann sechs Jahre Krieg - da verlernt man selbst das Wenige. Doch an jenem Morgen, als er seine Bestellung zum Obermonteur bereits schriftlich in der Tasche trug, faßte er den Mut, obwohl er von dieser Frau nicht mehr wußte, als daß er sie liebte. ,,Immer treffen wir uns in der Straßenbahn . . . morgen ist Sonntag. Ich meine, vielleicht können wir uns da im Englischen Garten treffen. Das wäre doch etwas anderes 1 Beim Chinesischen Turm 44 vielleicht, wenn es Ihnen recht ist, um JO Uhr, ja?" Also ein regelrechtes Rendezvous! Er kam sich etwas komisch dabei vor und wartete doch voll Herzklopfen auf die Antwort. Die kleine Frau lächelte still und geheimnisvoll. Schon faßte er ihr Lächeln· als Ablehnung auf. Doch da schien ihr plötzlich ein besonderer Einfall zu kommen. ,, Gut, ich werde da sein," sa.gte sie, . ,, aber . . ." ,,Aber?" Gespannt wartet er, was diesem „Aber" folgen würde. Doch nur ein Lächeln folgte, allerdings - so schien: es ihm, - ein offeneres, beinahe frohes Lächeln. - Die große Stunde kam. Kajetan Kraikl wußte, was sich in solchen Fällen gehörte; denn oft genug hatte er im Kino gesehen, wie es bei einem Rendezvous zuging. Also die grau. gestreifte Hose, das helle Jackett, den weichen Hut etwas flott in die Stirn gedrückt und Blumen natürlich. Vielleicht waren diese Gladiolen etwas zu auffallend, zu unpraktisch, aber schließlichhatte alles bei ihm einen Zug ins Grosse ... Die Natur hatte ein übriges. dazu getan; strahlender Sonnenglanz über den Wiesen, Vogelsang in allen Wipfeln! Sd1on um neun war Kaietan Kraikl beim Chinesischen Turm und schwenkte, die Brust geschwellt, mächtig die flammendroten Gladiolen. Rings um den Turm standen jugendliche Männer, blickten nervös auf die Armbanduhr und schossen schließlich auf ebenso jugendlidle Mädchen los, um ihnen formvollendet die Hand zu küssen, eine läppische Zeremonie. Nein, er wird nur den Hut lüften. „Guten Morgen" wird er sagen. Ein bißchen dürftig! Das übrige mußten die Gladiolen zum Ausdrucke bringen. Dann würde er seinen Arm anbieten, wie er cs ringsum bei diesen verliebten Leuten sah, und dann würden sie, Seite an Seite durch diesen wundervollen Morgen wandeln .. . Eine Ewigkeit 1 So eine Stunde allein, am Chinesischen Turm! Endlid1 zehn!

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