Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1968

Carl Hans Watzinger ERINNERUNGEN AN FRÜHERE TAGE Dunkel ist die Straße nach dem Bahnhof. Der gefrorene Schnee knarrt tmter den Schritten. Der Mond leuchtet schmal und blaß, oftmals bedecken ihn Wolken. Das gotische Münster steht wie eine Wehrburg über den Häusern der alten Eisenstadt, die den Ennsfluß entlang sich reihen. Der Fluß rauscht unten, ein mächtiges Brausen tönt aus der Tiefe, die die Nacht dem Auge wehrt. Das ist mein Heiliger Abend. In den Wohnungen_sind wohl schon die Kinder tim den Lichterbaum versammelt, und ihr Jubel erfüllt die Zimmer, dankt den Eltern. Ich fahre ins Alpenvorland. Denn ich will allein sein in dieser Nacht. Ja, ich entfliehe der Enge der Stadt, ich suche die Berge, die jetzt verschneit stehen, einsamen Wächtern gleich in harter Zeit, und mein Herz wird ruhig dabei. Der Zug, der, ein richtiger Geisterzug mit vielen Lichtern, durch die .abendliche Winterlandschaft fährt, ist fast leer, ich bin sogar allein im Abteil. Die Skier habe ich ohne Mühe unterbringen können, sie stören heute niemanden, nein. Das Gaslicht macht den kleinen Raum, darin ich, gelöst vom Werktag, sitze, weich, und ab und zu fliegen, so sehe ich durch das Fenster, Funken hochauf u. dann in den Schnee, verlöschen dort wie Sternschnuppen am weiten Himmel. Ich habe ein Loch in das vereiste Fenster gehaucht, und da sehe ich noch viel. Bald stehen Nadelbäume zuhauf, ihre Äste schwingen, als ·bewegte sich eine nimmermüde Hand, und bald wird die Landschaft groß, blau ist der Schnee unter dem Mondschein. 1--Iier und dort liegt ein Gehöft. Viermal hält der Zug und fährt wie- ,der an, den Bergen zu; nun steige ich aus. Die Kälte bläst mich an, der Atem dampft mir vor dem Gesicht. Ich bin der einzige, der ausgestiegen ist. Der Bahnvorstand hebt den Stab, aber er eilt nicht etwa sofort wieder in seine Stube, nein, er bleibt und läßt mich herankommen. Jetzt leuchtet er mir auch noch mit dem grünen Licht des Stabes ins Gesicht; er sagt, da sind Sie nun, ich habe Sie erwartet. Ja, Sie kommen immer am Heiligen Abend. Wir reichen einander die Hand reden eine Weile. Ja, sage ich, das ist so in meinem Leben, den Heiligen Abend muß ich beim Peterbauern verbringen, anders ist es kein Heiliger Abend für mich. Er nickt, ich merke, wie er mich in seinem Innern anstaunt, aber ich lasse es ihm nicht kennen, ich sage noch: Bedenken Sie nur, ich lebe in der Stadt. Ja, ich bin jahraus jahrein zwischen hohen Mauern zuhause, ich bin sozusagen ein Gefangener. Ich liebe die Städte nicht, sage ich. Dann wünsche ich ihm ein schönes Fest und verabschiede mich von ihm. Ein schönes Fest, antwortete er, id1 habe Dienst. Jetzt ist das Nicken an mir, es ist eben nid1t alles gut in der Welt, sage ich, aber welch eine klare Nacht! Ich deute mit der Hand ringsum. Die Straße senkt sich. Ein paar Häuser lasse ich zurück. Sie stehen wie Bettler am Wege vor dieser Nacht, die ein zarter Mond mit seiner Lampe erhellt. Und es ist Heiliger Abend, er wohnt in der hügeligen Landschaft, er macht sie wie von einem geheimen Wesen strahlen. Der Ennsfluß ist da, ähnlich wie in der alten Eisenstadt, wieder unter mir, er singt sein tieftönendes Lied, seine Wellen, reißend, den Flössern gefährlich, schäumen hell, der Mondschein leiht ihnen sein Gold. 37

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