Steyrer Kalender zur Unterhaltung Ein Mann namens Mill er Eine Erzählung von Arno Surminslci Edward Miller hatte sich seine Ankunft im alten Europa etwas anders vorgestellt: eine Musikkapelle am Kai, viele Menschen, Winken, Blumensträuße. Nichts von dem. Das Schiff lief an einem diesigen, kalten Vorfrühlingsabend im Hamburger Hafen ein, und an den Landungsbrücken standen nur ein paar frierende Schauerleute, die auf die nächste Barkasse warteten. Vor zwanzig Jahren hatte sich an der gleichen Stelle ein Eduard Müller vom alten Kontinent verabschiedet, um sein Glück drüben in Chicago zu versuchen. Er hatte es zu etwas gebracht; aber dann war das Heimweh gekommen. Ein paar Wasserspritzer schwappten über die Kaimauer, als das Schiff anlegte. Die Matrosen schoben die Gangway heran. Edward Miller nahm seinen kleinen Koffer und betrat Europa. Er hätte vorher schreiben sollen! Vielleicht wären die alten Bekannten zur Begrüßung in den Hafen gekommen. Er kam sich etwas einsam vor, wie in einem fremden Land. 2 Immerhin war er nicht ganz allein. Im Schatten der Brücke stand ein Streifenwagen, zwei Polizisten beugten sich über das Geländer und beobachteten die an Land gehenden Passagiere. „Da ist er" , sagte der Wachtmeister und stieß seinen Kollegen an. Die beiden setzten sich in Marsch. ,,Are you Mister Edward Miller?" versuchte der Wachtmeister, sich in englisch zu verständigen. ,,Sie können ruhig deutsch sprechen", grinste Miller. ,,Ich bin in Hamburg geboren." ,,Begleiten Sie uns bitte zur Wad1e. " „Warum? Liegt etwas gegen mich vor?" „Das gerade nicht. Nein. Eigentlich nichts. Nur eine Routineuntersuchung." ,,Das nenne ich einen schönen Empfang", schimpfte Miller, fuhr dann aber mit zur Wache. Er verlangte den vorgesetzten Offizier zu sprechen. Hauptmann Christen saß unbeweglich vor seinem Schreibtisch und hörte sich an, was Edward Miller erzählte. Daß er vor zwanzig Jahren aus 33
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