Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1965

senarbeit, so sollte Merkel von mir abgeschrieben haben. Dr. Velten ließ sid1 durch unsere Beteuerungen nicht beirren. Er urteilte schnell, hart und ungerecht. Aber er selbst glaubte, er durch- _chaue uns alle. So wurden die Mathematikstunden zu einer rechten Plage. Wir wehrten uns mehr oder minder gegen die Verdächtigungen. Merkel immer ohne Erfolg. Es blieb bei der Feststellung: ,, Sie sind ein hoffnungsloser Fall! " Endlich erhielt Merkel während der Mathematikstunden einen Platz für sich . So mußte sich der Verdacht als nichtig erweisen. Aber Dr. Velten tat noch mehr. Er 'blieb mit kurzen Unterbrechungen bei Merkel stehen und verfolgte ihn mit scharfen Augen, jederzeit sprungbereit und das verkörperte Mißtrauen, bei der Arbeit; so, Dr. Velten es erwartet hatte, geschah es dann auch. Unter den Augen des hämischen Lehrers verrechnete sch Merkel immer wieder . So blieben auch die schriftlichen Arbeiten ungenügend. Dr. Velten hielt offensichtlich den Beweis für die Richtigkeit seiner Vermutungen in seinen Händen. Heute weiß ich, daß es für den Klassenlehrer schwer war, Merkel trotz der fünf in Mathematik in die letzte Klasse zu versetzen. Dr. Velten lief Sturm. Aber die Konferenz entschied gegen ihn. Noch mehr. Ein anderer Mathematiklehrer übernahm den Unterricht in unserer Klasse. Er war nicht so scharfsinnig in seinen Formulierungen. Wahrscheinlich konnte er in der mathematischen Gesellschaft nicht so brillieren wie sein Kollege Dr. Velten. Aber er war ein gütiger alter Herr, der das Lebendige nid1t über den Zahlen vergaß. Er spürte die Abwehr, die Spannung, die Verzweiflung in Merkel. Und er ließ ihm Zeit. Er zückte kein grünes Heft, um die ungenügenden Leistungen festzuhalten. ,,Ich glaube, aus Ihnen wird noch ein guter Mathematiker!" sagte er einmal, als Merkel in aller Ruhe eine schwierige Aufgabe an der Wandtafel bewältigt hatte. Das Unwahrscheinliche geschah. Der Druck löste sich. Merkel wurde freier. Ja, er wurde kühn. Nun drängte er sich geradezu an die Tafel. 64 Als wir die Reifeprüfung ablegten, saß im Kollegium um den grünen Tisch herum auch Dr. Velten . Aber er durfte der Prüfung nur mit scharfen Augen folgen. Jeder Eingriff war ihm verwehrt. Sc mußte er es geschehen lassen, daß Merkel, der „hoffnungslose Fall " mit mathematischen Glanzleistungen paradierte und mit einer Ai1szeichnu11g die Schule verließ . Viele Jahre später begegneten sich der Professor Merkel und Dr. Velten wieder. Da hielt der Mathematiker Merkel einen vielbeachteten Vortrag in der Universität vor einem Kreis geladener Gäste. Er sprach ruhig und anschaulich, steigerte die Anforderungen an seine Hörer unmerklich, bis ihm nur noch wenige folgen konnten. Zu diesen gehörte auch Dr. Velten . Am Ende mußte auch er das Rennen aufgeben. Er kam nicht mehr mit. Nun, er war auch älter geworden. Aber vor ihm stand ein Meister. Als der Vortrag !beendet war, begrüßte Professor Merkel die Herren im kleinen Kreis. Als ihm Dr. Velten vorgestellt wurde, stutzte er. Er lächelte unmerklich und neigte sich besonders ehrerbietig vor ihm. Der Haß war längst vergessen. Dr. Velten aber murmelte: ,.Ich habe es immer gesagt: ein hoffnungsloser Fall!" Aber es lag Anerkennung in seinen Worten. Besser hätte er sich wohl kaum ausdrücken können . Aber keiner von beiden gab sich zu erkennen. * r/2e.lJ-lLe. de J -:Xtat.teh..e.J Zwei junge Damen sangen ein Duett. Ein Zuhörer wandte sich an seinen Nebenma11n und sagte: ,, Singt die Blonde nicht zum Davonlaufen?!" . Der lächelte und meinte: ,,Ich bin hier nicht ganz unparteiisch, denn die Dame ist meine Schwester . . ." „ Oh, verzeihen Sie, " verbesserte sich der Unzufriedene, ,, ich meine natürlich die dunkle Dame ." ,,Da haben Sie recht, " gab der anden: zu , " ich habe es ihr schon öfter gesagt, denn sie ist meine Frau! " (ici)

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