Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1965

Keinen, keinen - die Welt braucht keinen Herrgott mehr! ,, Wozu auch? ", denke ich verbittert. Es geht auch ohne Herrgott. Und viel besser sogar. Ich ha - 1be es doch gesehen. Finstere Nacht ist es geworden . ln dichten Flocken fällt der Schnee hernieder. Von einem Haus zum anderen - es bleibt alles umsonst. Müde wanke ich mit meiner Last heimwärts. Oben auf dem Berg sehe id1 schon das einsame Licht von Surlaj, das Licht, das mein Elend, meint1 Not beleuchtet. Verzweiflung faßt mich an. Heimkommen, jetzt am Weihnachtsabend mit leeren Händen? In den Schnee sinke i'ch nieder und schlage die Hände vor das Gesicht. ,,Herrgott", rufe id1 ankla.gend, „du hast es gehört: Sie brauchen did1 nicht!" Da ist mir plötzlich, als hörte ich ihn sprechen, ihn, den ich mit meiner Hände Arbeit beschworen habe. ,, Aber du wirst mich brauchen, Marian!" Ein billiger Trost, denke ich. Doch ich höre die Stimme wieder. ,, Dir will ich das Schönste geben, Marian, das ich Menschen gelben kann!" Während ich, unsicher noch, überlege, wie ich diese·s Wort deuten soll und zweifle, ob ich mir dies nicht etwa in meiner Niedergeschlagenheit bloß selbst vorgesprochen hätte, sehe ich im Schneelicht eine dunkle Gestalt auf mich zukommen. An dem weiten Hirtenmantel, der im Sturm um ihn flattert, erkenne id1 den alten Partschott, den Berghirten, der mein Nachbar ist. „Marian", mft er mir zu, ,, komm schnell! Bei der Agnes wird es Ze-it!" Gott im Himmel! Ich stürze auf das Haus zu, stelle den Herrgott .in die Sdmitzhütte und trete an ihr Bett, an dem sich schon die Nachbarinnen versammelt haben. Die Agnes blickt mich an und legt still ihre Hand in die meine. Ihre Hand zuckt unruhig, wenn die Schmerzen kommen. Aber ich spüre: es ist etwas ärgeres, das sie bedrückt. ,, Der Herrgott?" fragt sie mit bangen Augen, ,,hast du ihn verkauft?" „Nein, Agnes", antworte ich, ,, es will ihn keine11 haben!" Da lächelt sie mich mitten unter den argen Schmerzen milde an. ,, Gott Lob und Dank. So 'bleibt der Herrgott bei uns. Und der Herrgott ist bei uns geblieben. Td1 weiß nicht mehr, wie wir über die Not hinweggekommen sind. Ich weiß nur. die Agnes hat einem gesunden, tüd1tigen Buben das Leben geschenkt und von dieser Weihnacht an ist alles besser geworden." - Der alte Professor schweigt ergriffen eine Weile lang. Dann tritt er vor das verhüllte Werk hin und zieht das Tuch wieder fort. Nachdenklich betrachtet er den Kruzifixus und schüttelt den Kopf. „Oft versucht", sagte er, ,, aber nie mehr erreicht. So ist es: den Herrgott, den wahren, findet man im Leben nur ein einzil?'esmal. " Othmar Capellmann 70ir alle J.ind 7Uand'rvc Wir alle sind Wandrer auf dieser Welt; heute da, morgen dort, wie's Gott gefällt. Wir treiben im Sdticksal wie Laub im Wind, heute dort - morgen fort ... Sdticksal ist blind. Und dodt gibt es Heimat: 0 ewiger Hort! Ein liebendes Herz, ein linderndes Wort. Laßt wandern getrost uns du~dt feindlidte Welt. D~~ Ziel ist die Liebe, wie's Gott gefällt! 59

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