Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1965

Der Rungaldier pfe:ift durch die Zäh - ne und humpelt mit seinem krummen Bein um den He:rrgott herum, schaut ihn von links an, von rechts, von vorne, von hinten und/ untersucht ihn so gründlich, wie er es als geriebener Händler bei einem Stück Vieh tut, das' er kaufen soll. Am Schluß klopft er gar noch mit dem Fingerknöchel an das Holz, ob es wohl gesund ist. Dann zwickt er, um das Ganze richtig überschauen zu können, die Augen ein wenig zu und schüttelt den Kopf . „Marian" , sagt er, ,, Herrgott brauch ich keinen!" So nehme ich in Gottesnamen die Kraxe wieder und stapfe mit nieinem Herrgott nach Sankt Christina hinauf. Zu schneien fängt es an. Ich breite' dem Herrgott meinen Mantel über und melde mich beim Augustin Vinatzer, der in diesem Jahr für sein Hotel die große Dependance gebaut hat. Ein feines, nobles Haus, der „Rote Adler". Wo man hinschaut, spürt man das Geld. Versteht sich, ich nehme mit meinem Herrgott nicht vorne die große Glastüre, sondern den kleinen Eingang hinten, an der Küche vorbei, wo die Wirtin eben beim Backen ist. So oft sie den Teig in das Schmalz wirft, zischt es auf. Das ganze Haus riecht nad1 Krapfen. ,,Was bringst mir denn da, Marian?" lacht der Augustin Vinatzer, als er mid1 daherkommen sieht. Ein fideler Mensch, das muß man ihm lassen, immer lustig und wohlauf. Er faßt mid1 UJ1geduldig beim Arm, dreht mich herum und zieht neugierig den Mantel weg, um zu sehen , was ich auf meiner Kraxe habe. „Oh, gar einen Herrgott bringst du mir?" lacht der Augustin Vinatzer, klein und rund und immer fidel , und dreht mich, als hätte er schon genug gesehen, mitsamt dem Herrgott schnell wieder zurück. „Nein, Marian, Herrgott brauch id1 keinen!" Also werde ich zum Pfarrer Vian nach Wolkenstein gehen, denke ich, und mache mich wieder auf den Weg. Immer tiefer wird der Sdmee, immer ärger der Sturm, der vom Joch herabspringt und die Kälte geht mir durch Mark und Mutter - wenn wir dich nicht hätten! Bein. Ich klopfe den Sdmee vonl den Schuhen und trete in das Pfarrhaus. Hier ist es warm. Die Hauserin ist gerade dabei, mit roten Äpfeln und goldenen Sternen und bunten Kerzen den Weihnachtsbaum aufzuputzen. Da trippelt schon, alt und verhutzelt, der Pfarre.r über . die Stiege herab, schaut an, was ich vor ihn hingestellt habe, lächelt milde und legt mir gottväterlich die Hand auf die Schulter. ,, Oh, das, ist ein ganz 'besonderer Herrgott, Marian" , sagte er bewundernd, und schiebt die Brille wieder auf die Stirne. ,,Gott hat dein Werk geseg11et. Aber -" er deutet auf den ,, schönen" Herrgott hin, der im Stiegenwinkel steht, ,, ich bin schon versorgt, Marian, wie du siehst, Herrgott brauch ich keinen!" „Herrgott brauch ich keinen! " - ich ,kann diese Worte nicht mehr hören . Aber was soll ich tun? Wer kann mir helfen? Ich denke an die Agnes, an die Kinder daheim, und mache mich wieder auf den Weg. Wo ich nur ein Licht an den Fenstern sehe, klopfe ich an und zeige den Leuten meinen Herrgott. Aber es ist überall das gleiche·: ,, Herrgott brauch ich keinen!" 57

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