Zwei Wege und ein Ziel Episode aus dem Leben des ersten Abtes von Garsten Man schrieb das Jah r 1079. Der Herbstwind strich durchs Nekartal, brauste über die dunklen Wälder des Schwarzwaldes und spielte auf den hohen Zinnen der wetterfesten Urachsburg klagende Melodien. Wenigstens kam es den Besuchern des Schlosses so vor, denn sie befanden sich alle in einer ernsten Stimmung. Das Gesinde schien ganz auf das sonst gewohnte frohe Lachen vergessen zu haben. Ulrich, der alte Pferdeknecht, hatte seinen abgeschabten Hut ganz schief am grauhaarigen Kopf, was bei ihm stets ein Zeichen deT Trauer war und der riesige Kettenhund ließ den Schwanz hängen und brummte ingrimmig, denn die Küchenmägde hatten ihn: heute noch keinen einzigen Knochen vorgeworfen. Die junge Gräfin Adelheid, die der BurgheTT Eberhard , Sohn des Grafen Albert v. Württemberg, eTst vor einem Jahr geehelicht hatte, lag sterbenskrank in ihrer Kemenate, nehen ihr in einer kunstvoll geschnitzten Wiege schlummert.e ein holder Knabe. Der wußte nichts ~on dem schweren Leid, das er seinen Eltern gebracht hatte, die kleinen Fingerehen spielten leise über die von Mütterchens Hand, gestickte Decke, -und träumte wohl einen wonnigen Traum, wie ihn nur die Unschuld zu träl!_men vermag. Bleich wie Wachs lag die von allen ob ihrer Güte geliebte Gräfin auf ihrem Schmerzenslager; soeben hatte ihr der greise Burgkaplan Anselm mit zitternder Hand den heiligen Fronleichnam gereicht, noch lag der Geruch der verlöschten geweihten Kerzen in der Luft und war es in den Gaden wieder stille geworden. Nur einer wachte bei Mutter und Kind, gebeugt von qualvoller Sorge: Eberhard, der junge Burgherr. Er fühlte es, die Sanduhr dort am Fenster, sie zählte ihm die letzten Stunden. trauten Beisammenseins mit seiner innigstgeliebten Gattin vor, die kühle Herbstluft, die durch' das offene Fenster schl id1, deuch42 te ihm eine kalte Totenhand zu sein, die über die Wangen strich; er schauerte und blickte mit trüben Augen hinaus in den Herbstrnorgen, wo von der großen Herbstlinde langsam Blatt für Blatt zur Erde sank. - Die Kranke schien zu schlafen und es war, als ob ein stilles Läd1eln auf ihren bleichen Lippen spielte. Durch die Uhr rieselte langsam und stetig der Sand.. Da öffnete die Frau langsam die Augen und blickte suchend umher: ,,Eberhard - bist Du hier?" Fast unhörbar kam es von ihrem Munde. ,,Ja, mein liebes Weib, sag mir, wie ist Dir denn? " Leise streicht seine Hand über ihr reiches Haar. „Eberhard, mir ist ganz wohl und alle Sd,merzen sind verschwunden . . . Eberhard, erschrick nicht, ich werde Did, bald verlassen. Aber wir werden uns wiedersehen, droben im Himmel." Sie schwieg und es war wieder, als ob ein glücklichesi Lächeln leise über ihre Züge huschte. Dann flüsterte sie weiter : ,, Eberhard, ich ha.tte einen wundersd1önen Traum. Ich habe Dich gesehen, aber nicht in der ehernen Rüstung eines Ritters, nein - viel, viel schöner. Eberhard, ich sah Dich als Priester, wie Du mit vielen anderen Priestern am Altare das hochheilige Opfer feiertest . Viele, viele Leute lagen auf den Knien und ... ich mitten unter ihnen. Da wandtest Du Dich um, ich sah Dein Gesidit in einem hellen Lidit strahlen, Du erhobst in Deiner rediten Hand einen goldenen Stab - gabst uns allen Deinen Segen. Eberhard, das hat mir geträumt, dann erwachte ich, a!ber - es war sd,ön." Der junge Graf war an dem Bett niedergesunken und vergrub sein Gesicht in die Hände. Er betete, um Kraft zu finden in seinem übergroßen Weh. Leise tastete die Hand der Sterbenden nad1 dem Haupte Eberhards und wie ein Hauch drang es an des schmerzgebeugten M;,nnes Ohr: ,, Eberhard - der Traum
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