Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1965

Ein Wettlauf mit dem Tod Eine alte Steyrer Sage, erzählt von Franz Harre r In der Blumauergasse, nahe dem Südwesteingang zur Burg Steyr, steht, von den weitausgreifenden Asten zweier mächtiger Lindenbäume und anderen hohen Bäumen liebevoll behütet, eine zu eben dieser Burg gehörende und aus dem 18. Jahrhundert stammende, große, schöngebaute barocke Kapelle. In ihr steht auf einem hohen, schöngearbeiteten steinernen Sockel die lelbensgroße Statue des Hl. Nepomuk. Den Sockel zieren Spiralen, uralte Sonnensinnbilder, das erhaben gemeißelte Wappen und die Krone des hochberühmten Geschlechtes derer von Lamberg, deren einer die Kapelle erbauen ließ. Über dem unbedeckten Haupt des Heiligen rundet sich der Heiligenschein in der Form eines eisernen Reifens mit den fünf goldenen Sternen. Zu seinen Füßen ruhen zwei niedliche kleine EnDie alten Häuser am Mühlenbadt sind wie vom Sdtlafe trunken. Auf Giebel und Dädte1· ist längst sdton die Nadtt mit ihren Träumen gesunken, - Nun stehen all die Hämmer still. Kein Rad sdtwingt sidt im Kreis. Der Esse Glut ist ausgekühlt, Verldungen das Lied vom Fleiß , - Nur draußen , wo ,die Nadtt jetzt träumt, rinnend die Fluten nidtt ruhn, als müßt das Werk, das der Tag versäumt, rastlos die Nadtt jetzt tun. - Siegfried Torggler gel. Die Kapelle ist mit einem niederen, schöndurchbrochenen, steinernen Gi tter geschlossen. Diese Kapelle wurde, wie eine mündliche Überlieferung besagt, an der Stelle einer längst verfallenen uralten Kapelle erbaut, von der eine alte Sage die Erinnerung an eine tiefmenschliche Tragödie wach hielt, die sich als Sage auch auf die Nepomuk - Kapelle übertragen hat. Die nur wenigen Steyrern liekannte und fast vergessene Sage, die weit in die Chr:istianisierungszeit zurückreicht, weiß folgendes zu erzählen: Als Steyr zwar schon eine ziemlich große Menschensiedlung, aber noch lange keine Stadt 1war und auch die prächtige und wuchtig wirkende Steyrburg noch nicht auf der zwischen den beiden grünen Alpenflüssen, der Em1s uncl der Steyr, spitz zulaufenden Anhöhe majestätisch thronte, lebte und werkte an dem Wasser der grünen Steyr ein Müller, der e:ine schöne, liebreizende Tochter hatte. Noch lagen hier römische Legionssoldaten im Quartier, die von einem hohen Wachttunn die Flußübergänge bewachten und scharf ins Land lugten; denn es war noch die Zeit, da das weltweite Rom unser Land diesseits der Donau noch im Besitz hatte. Das Christentum hatte durch eifrige Sendboten hier im Volke bereits Eingang gefunden, aber es gab 11od1 viele, Heiden, die umso fanatischer den alten Göttern anhingen. Auch der Müller war noch ein solcher fanatischer Heide, der den Göttern zu gewissen Zeiten seine Opfer darbrachte. Seine einzige Tochter aber war heimlich Christin geworden und hatte sid1 taufen lassen. Das Mädchen war wegen seiner Schönheit und sonstigen guten Eigenschaften viel von Freiern umworben, von denen mancher das anmutige und in frischer Jugend prangende Wesen gerne als Frau in sein Heim geführt hätte. Unter diesen Freiern suchte sich ihr Vater einen aus, den er als Gatten für seine Tochter haben wollte. Es war 149

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