Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1964

langlose Reden ü'brigens, wie sie dünkte. Sie sah, wie Vera, Ingrids beste Freundin, die erste Platte auflegte und der junge Mann, der Bonbons gebracht hatte, ihre Tochter zum ersten Tanz aufforderte. Der also ist es, dachte die Mutter überrascht und beschloß, sich bald zurückzuziehen. Die jungen Leute wollten natürlich allein sein. Frau W. hatte sich davon überzeugt, daß alles in Ordnung war und dem Gelingen des kleinen Festes nichts im Wege stand. Von niemandem bemerkt verließ sie kurz darauf den Raum. In ihrem Zimmer fühlte sich Rita plötzlich sehr müde und abgespannt. Kein Wunder nach der Arbeit des heutigen Tages . Mit Genugtuung dachte sie an die hundert Brötchen, die sie belegt, die beiden Torten, die sie gebacken, die Unmenge Teebäckerei , die sie hergestellt und die Schüsseln Obst- und Gemüsesalat, die sie angerichtet hatte. Ingrid war selig gewesen, so selig, wie man auch mit sechzehn nur sein konnte, wenn man zum ersten Mal verliebt war. · Rita fiel ein, daß auch sie einmal sechzehn gewesen war, und Erinnerungen wurden lebendig, die ein viertel Jahrhundert zurücklagen. Erinnerungen voll Seligkeit und blinden Glücks zuerst, bis jener schwarze Abgrund sie verschlungen hatte, ausgelöscht in einem Meer von Tränen. Denn Heinrich war, achtzehnjährig, nicht aus dem Ostfeldzug ' zurückgekommen. An Schlaf war natürlich heute nicht zu denken. Die Tanzmusik und das Lachen der jungen Leute drang gedämpft in Ritas Zimmer. Sie beschloß daher, endlich d_as Buch zu lesen, das schon so lange auf ihrem Nach ttisch darauf wartete. Es traf sich gut,. daß Alexander gerade auf ein.er Dienstreise weilte und dadurch der gestörten Nacht entging. Nicht, daß er seiner Tochter die Freuden ihrer ersten Party mißgö1mt hätte. Aber bei seiner Abgespanntheit, mit der "er allalbendlich sehr spät aus der Kanzlei heimkam, wäre der unvermeidliche . Länn nicht das Richtige gewesen . Als Rita endlich im Bett lag, und das Buch zur Hand nahm, fühlte sie sich unfähig, das Gelesene richtig aufzunehmen . Da war wieder die Vergangenheit und überfiel sie mit quälenden Bildern: Sie sah Heinrich zur Türe hereinkommen, mit einem Strauß dunkelroter Gladiolen in der Hand. Alles Gute zum Geburtstag, Rita, sagte er, -doch sein Gesicht war blaß und traurig. Sie wollte die Blumen in eine Vase geben, fand aber keine. Erleichtert fühlte sie, wie Alexander ihr den Strauß aus der Hand nahm. Er fand sogleich die Vase, füllte ~taOtpf arrtird)e Franz Josef K a e s d o r f Über alle Dächer ragend. . Strebt der spitze Tum1 empor. Aus dem Grün der hohen Bäume Ragt der graue Bau hervor. Münster, Turm und Giebelhäuser Leuchten auf im Dämmerschein, Und sie fügen sich harmonisch In das Bild der Landschaft ein. Senken sich die ersten Schatten Auf den stillen Fluß herab, Heben sich di e dunklen Dächer Von dem blassen Himmel ab. sie mit Wasser und stellte sie auf den Tisch . . . Heinrich war nicht mehr im Zimmer, sein Gesicht war plötzlich ausgelöscht wie eine Kreidezeichnung auf einer Tafel. In einer Wiege weinte eine sehr kleine, hilflose Ingrid mit einem runzeligen, roten Säuglingsgesicht und einer Haube, di e viel zu groß war. Rita erschrak beim Anblick des Kindes, in dessen Gesid1t sie vergeblich Heinrichs Antlitz suchte. Es trug Alexanders Züge, klar und deutlich. Die alte Schuld begann sie neue!'lich zu beunruhigen, jene Schuld, die nichts anderes war als das Vergessen eines Gesid1tes, das man durch andere Gesichter ersetzt hatte. Eine Sekunde lang war es lebendig geworden zwischen den Zügen der jungen Männer, die heute zu Ingrid gekommen waren . .. In diesem Augenulick drehte jemand im · Nebenraum heftig am Knopf des 51 .

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