Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1964

- ich weiß das nicht, denn so ein Fall isc mir noch nicht untergekommen!" ,, Jeder Fall ist einmal zuerst passiert . . ." „Natürlich - doch warum gerade in meiner Abteilung? Das ist doch heller Wahnsinn! " „Wahnsinn oder nicht: ich hätte das Klavier in der Bestandsaufnahme angeben müssen und habe es absid1tlich weggelassen. Nun muß ich ~en bezahlen, was von mir dafür gefordert wird. " ,, Soll ich das nun wirklich zu Protokoll nehmen? Das dürfte schöne Scherereien bringen - für Sie und auch für mich. Nehmen Sie doch endlich Vernunft an, Herr Freiberg! " ,, Ich bin völlig vernünftig. " ,, Na gut, überlegen Sie sich die Sache noch einmal bis morgen. Wir brauchen das ja schließlich nicht heute sd1on zu Protokoll zu nehmen. " , ,, Doch, ich bitte Sie, das heute zu tun, Mc-rgen wäre das aud1 nicht- anders . .. " Seufzend schrieb der Leiter der Voll- ,streckungsabteilung das Protokoll. Friedrid1 Freiberg untersd1rieb mi t serner klaren und korrekten UnterDes Hundelebens ganzer Jammer Photo J . Gajda 36 schrift, die fast aussah, als wäre es eine strenge und harte Sache, Friedridi Freiberg zu heißen. Der A'bteilungsleiter seufzte nochmals hörbar und legte das Protokoll in seine Schreibtischlade: ,, lch lasse das bis morgen hi1:r drin liegen. Wenn Sie es sidi bis morgen anders überlegt haben, kommen Sie bitte zu mir. Dann wandert der Sdirieb in den Papierkorb!" „Ich will aber, daß Sie ihn heute schon weitergeben! " Am Abend klingelte der Abteilungsleiter an Freibergs Wohnungstür: ,,Idi habe das Protokoll doch noch in meiner Schreibtischlade liegen lassen, ich muß vorher erst nocli einmal gründlich mit Ihnen darüber reden. Von Mensch zu Menscli gewissermaßen, verstehen Sie?" Friedrich Freiberg bat den Abteilungsleiter in die Wohnung. Der Besuclier hatte zwei Flaschen Wein mitgebracht. Als die zweite Flasclie Wein fast geleert war, ging es schon auf Mitternadit. Die Zungen der beiden Männer waren allmählich lockerer geworden. Doch die Hoffnung des Abteilungsleiters, Herrn Freiberg mit Hilfe des Weines zu einer Sinnesveränderung zu bewegen, war unerfüllt geblieben. Friedrich Freiberg stand auf und ging zu einer Kommode, auf der ei n postkartengroßes Kinderfoto in einem dunklen Hclzrahmen stand. Er nahm das Bild, stellte es auf den Tisch und setzte sid1 wieder auf seinen Stuhl. ,,Wer ist denn das? " wollte der Abteilungsleiter wissen. ,.Das war meine Toditer. Zwölf Jahre war Margot alt. Sie sollte Klavierspi elen üben und wollte nicht - damals. Icli war ge rade nach Hause gekommen. Als ich ihr eine run.tergehauen hatte, lief sie auf die Straße. Im gleichen Augenblick fuhr ein Lastwa.gen vorbei - von dem wurde sie überfahren. Am näclisten Tag ist sie im Krankenhaus gestorben . .. " ,, Und das Klavier?" ,, Wir haben es sofort nadi der Beerdigung verkauft - an eine Familie Leimbach . .. " Friedricli Freiberg starrte gedankenvoll vor sich hin. Dann sagte er langsam: ,, Das Klavier hatte zwei Kratzer

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