Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1964

Tischehen, und eine Schüssel u. ein Vorschneidebesteck von ansehnlichen Ausmaßen legte er auf dem anderen nieder, es sah fast aus wie eine sakrale Handlung, und es wurde uns sehr beklommen zumute. Es stellte: sich heraus, daß audi Lisa nicht wußte, was ein Chauteaubriand war. Die festliche Vorbereitung und feierliche Einleitung unseres Mahls ließen uns indessen argwöhnen, daß es eines von diesen komplizierten Gerichten· war, die man mit verschiedenen Gabeln, zwei Messern und einem Spezialintrument auf spitzfindige Weise zu essen pflegt . Lisa und idi hatten quälende Visionen. Wir sahen es kommen, daß wir unter den höhnisdien Blicken der versammelten Mannschaft hilflos vor einer Speise sitzen würden, mit der wir nichts anzufangen wußten. Zu allem Überfluß kam ein kleiner Junge heran und besichtigte mit stiller Wißbegier den Spirituskocher. Es war offenbar der erste Spirituskodier, den der Knabe, geboren im Zeitalter der Elektrizität, zu Gesicht bekam. Wi r hatten, jung und unerfahren wie wir waren, die schrecklichsten Vorstellungen von dem, was ein Chateaubriand sein könnte, und wir sahen das Schlimmste kommen, als sich der Kellner nahte, eine großmächtige, verdeckte Schüssel vor sich hertragend. Ich hatte das Gefühl, das ich sonst nur habe, wenn ich, lediglich mit einer Unterhose bekleidet, in belebten Gegenden spazieren gehe, was mir leider des öfteren in qualvollen Träumen zustößt. Ich warf einen Blick auf Lisa , ihr Lächeln erinnerte an ein e Portion Gefrorenes und da - Da war dieser kleine Junge, der den Spfrituskocher besichtigte und jauchzte : .,Mutti! " Er lief rastlos und unaufhaltsam wie .eine Rakete davon und stieß mit der brutalen Energie eines Eis'brechers dem Kellner gegen die Knie. Der sdilingerte wie ein Frachter bei sdiwerer, Dünung, er entwickelte, die Pupillen angstvoll erweitert, die fesselnden Fähigkeiten eines Schlanget).menschen und Jongleurs, aber seine bemerkenswerten Bemühungen halfen nichts, die Schüssel gab 34 sich geradezu frohlockend den Gesetzen der Sdiwerkraft hin und stürzte zu Boden. Aus einem Stilleben von gemischten Gemüsen hüpfte und rollte ein Stück gebratenen Fleisches geradewegs auf uns zu, und dies war das Chateaubriand. Ich hatte den Eindruck, es grinste uns freundlich an. Es entstand eine lebhafte Bewegung, wie man sie in Operetten am Schluß des zweiten Akts zu sehen bekommt, wenn die Bühne sich plötzlich dicht bevölkert, alle Teilnehmer deutliche Merkmale heftiger Bestürzung zur Schau tragen und jeder im Solo und Chor es für nötig hält, seine Meinung vorzutragen. Ich will nicht lange von den erregten Auseinandersetzungen zwischen den Parteien reden, nicht von ihren u11bedenklichen Unschuldsbeteuerungen, ihren geschworenen Aussagen und den der Vornehmheit der Stätte nicht immer angepaßten Ver'balinjurien. Die erbitterten Verhandlungen endeten damit, daß sich der schwergeprüfte Vater des stürmi - schen Knaben, ungute Worte- murmelnd und heftige Blicke werfend, mit der Familie davonmachte. Vorher aber zahlte er zähneknirschend das Chauteaubriand und ließ es sich einwickeln. Ich habe zu Hause einen Hund, sagte der Herr. Es ist wahr - als das Chateaubria11d ein so klägliches Ende nahm, hatte ich ein freudiges Gefühl der Genugtuung und Erleichterung. Aber Lisa und ich hätten uns um seinetwillen nicht derart zu beunruhigen brauchen, denn ein Chauteaubriand ist nichts anderes, als ein Lendendoppelstück. Man soll sich eben durch hochtrabende Namen überhaupt nid1t verblüffen lassen. A'her damals waren wir jung und wußteni nod1 nichts von solchen Lebensweisheiten. Was aber unser Abenteuer im Palmensaal angeht, so war es noch nicht zu Ende. Als nämlich die Familie gegangen war, trat der Direktor oder wer es immer war, zu uns und teilte uns mit hinreißenden Ausdrücken des Bedauerns 111it, das so unwürdig zu Schaden gekommene Chateaubriand sei das letzte in der Küche gewesen. Da haben Lisa und, id1 gesagt, das schadet, o bitte, fast gar nichts, und wir waren froh und guter Dinge und haben aufatmend Wiener Schnitzel gegessen.

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