Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1963

P. S. Ich hoffe, Du nimmst es mir nicht übel, daß ich Dir wieder „Du" sage. Dieses „Sie", das, wir uns da in der ersten Wut eingewirtschaftet hatten, kommt mir jetzt unsäglich albern vor. Dir nicht auch? 1 Liebste Marianne! Mit Deinem letzten Brief fällt mir ein Stein vom Herzen! Dieses „Sie" war mir immer grauenhaft, aber ich konnte doch nicht gut als erster mit dem Unsinn aufhören! Nun, da Du vernünftig genug gewesen bist, den Anfang zu machen, schreibe ich Dir doppelt so leicht und gern. Daß ich an den 3. Oktober gedacht habe, ist doch ganz selbstverständlich. Ich hoffe, Du hast diesen Tag weniger trübsinnig verbracht als ich. Man kann gewisse Dinge eben doch nicht so leicht vergessen - und das ist auch gut so, denn was täte ich, wenn ich nicht einmal die Erinnerung an eine . schönere, glücklichere Zeit hätte? In alter Herzlichkeit! Dein ·Walter: liebstet Walter! Auch mir war am 3. Oktober komisch zumute. Den ganzen Tag über hatte ich so ein ' Gefühl, als müßte ich Dir irgendwo auf der Straße begegnen. Das wat, aber nicht der Fall. Eigentlich . sonderbar, nicht? Da leben wir beide in derselben Stadt, und der Zufall, der einen sonst oft mit den langweiligsten Bekannten zusammenführt, streikt gerade in unserem Fall. Findest Du das riicht kurios? Alles Liebe und Gute von Deiner Mariann•e. Liebste aller Mariannen f Sehr kurios finde ich das sogar! Was meinst Du, wie oft ich schon ve_rgebens nach Dir Ausschau gehalten habe f Sozusagen jeden Tag.! Aber könnte man .dem streikenden Zufall nicht auf die Beine helfen? Wie wär 's einmal mit einem kleinen Rendezvous? Falls Dir dieser Vorschlag nicht allzu unverschämt erscheint, bitte ich. um Angabe von Ort und Stunde. Ich bin ja leider über Deine gegenwärtigen Lebensgewohnheiten nicht unterrichtet ; die meinen sind unverändert die gleid1en, die Bürostunden auch. Also verfüge ganz über · mich. Auf hoffentlich sehr baldiges Wiedersehen. Walter. Durch Boten! Weißt Du was, Walter, komm doch einfach nach dem Büro zu einer Tasse Tee zu mir! Wozu sollen wir uns zwischen lauter fremden Leuten ,in ein Lokal setzen, wenn ich doch ·ein gemütliches Heim habe! Dort können wir uns ungestört ausplaudern. Ich erwarte dich also ganz bestimmt! Marianne. Holzs c hnitt: Rudolf Warnecke

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