Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1963

Ooppollo Ankunff in VBDBdig Mit zwei Stunden Verspätung kam der Zug von Paris in Venedig an. Die . Gondolieri, die auf Andre Larron zusprangen, entsprachen nicht seiner Vorstellung; mit ihren breiten, hohen, spitzen Hüten und ihren langen, flatternden Mänteln glichen sie Kavalieren früherer Zeiten und nicht einfachen Männern ~us dem Volke, die für ein paar Lire noch nach Mitternacht als Ruderer arbeiten müssen. Auch der Bahnhof der alten Seestadt kam ihm sonderbar klein und würdelos vor. „Hotel Hungaria" , sagte Larron zu den Männern, an deren Kinn er jetzt rote Spitzbärte erkannte. Die lange Gondel glitt durch Wellen und Finsternis. Der erste Eindruck Venedigs war von gespenstischem Reiz. Schwarz und geheimnisschwer ragten Häuser und Paläste aus dem gurge-lnden W1.!sser. Die Gon:del hielt am Lido. Die Gondolieri hatten Pechfackeln entzündet. Sie nahmen Larron in die Mitte. Nun verharrten die beiden Begleiter vor einem niedrigen, flachen Hause. Andre Larron vermißte die Aufsd1rift „Hungaria" , die mit Majolika geschmückte Fassade, die einladende Drehtür und den heranflitzenden Pikkolo; er sah nur e:ine gewölbte, eisenbeschlagene Pforte vor sich. Ehe Larron dazu kam, seine Verwunderung zu äußern, hatte der eine der beiden Spitzbärtigen die schwere Türe aufgezogen und puffte den bestürzten Pariser, der keinen Widerstand wagte, eine lange gerade Treppe abwärts. Der Weg führu weiter durch mehrere Gänge und endete in einem . kleinen Raum, durch dessen einziges Fenster, ein rundes Bullauge, ein grünfahles Dämmerlicht fiel. Der Textilreisende Andre tarron, der mit den Ersparnissen eines Jahres nach 3 Ein seltsames Erlebnis Aufgezeichnet von Hermann Linden Venedig gereist war, um seine Ferien in der schillernden Märchenstadt zu verbringen, lag nun nicht im bequemen Bett seines vorausbezahlten Hotelzimmers, sondern hockte auf der kalten Steinbank eines obskuren Kelle.rs. Trübselig starrte er auf das Schattenspiel an den farblosen Wänden. Eine Stunde mochte vorübergekrochen sein, da hörte er Schritte. Herein traten die Spitzbärtigen, und mit ihnen kam noch ein hochgewachsener Mann, der hinter einer grünen Larve sein Gesicht ver- :--- , H ' ·:· '. ;,t:3;_ ry . barg. Der Fremde niit dem Froschgesicht trat auf den an die Wand zurückgewichenen Larron zu und sagte mit vollendeter Höflichkeit : „Entschuldigen Sie gütigst, Monsieur Lafitte, wenn wir ' Sie in eine wenig übersichtliche Situation bringen mußten, die wie Freiheitsberaubung aussieht, aber nur eine Angelegenheit von Stun65

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