Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1963

,, Um zwölfhundert", sagte Wolf sofort. Der Kleine zog mit diesem Besd1eid wieder ab. Wurde er nicht um amthundert zum Kaiser gekrönt? sann Ann. Aber Wolf smien seiner Sache ganz simer ZU sein. Plötzlim fiel ihr ein kleines Erlebnis aus ihrer gemeinsamen Jugendzeit ein. Sie waren spazieren gegangen und Ann hatte Blumen gesehen, deren Namen sie nicht kannte. ,Was sind das, für Blumen, Wolf?' ,Amarylhs ', sagte der sofort, und hatte ihr damals imponiert. Amaryllis. Viele Jahre lang hatte sie stolz den lateinischen Namen für diese rosa Blüten gebraucht, bis ihr Mann sie einmal im Botanischen Garten darauf aufmerksam mamte, daß Amaryllis große Liliengewächse waren und mit diesen kleinen Blüten nichts zu tun hatten.. Als Wolf gegangen war, sann Ann nom über diese, an sim belanglose Erinnerung nach. Hatten ihr nicht eigent- •lich immer Menschen imponiert, die smnell mit ihrem Urteil fertig waren? Die ihre Antwort oder Kritik sofort griffbereit hatten wie eine Zigarette? Ihr eigener Mann war anders gewesen, viel bedämtiger; wer im Wort unzuverlässig ist, ist es auch in der Tat," pflegte er zu sagen . Am nächsten Tag kam ihr Junge emport aus der Smule zurück - Karl der Groß e habe smon im neunten Jahrhundert gelebt! Dem On.kel Rolf glaube er aber nun ·nichts mehr! Ann erschrak. Durfte sie das Kind so von einem Erwamsenen sprechen lassen, den sie vielleicht zu seinem Vater machen wollte? ,.Aum Große können einmal irren. " ,,Klar. Aber Vati hat immer gesagt: Gib lieber zu, etwas nicht zu wissen, als etwas zu behaupten, das nicht stimmt. Angeber täte11 das. " Wochen vergingen. Immer noch zögerte Ann. Wolf kam fast täglich. Er aß bei ihr, bramte ihr kleine Geschenke und tollte mit dem Jungen herum. Sie wurde unruhig, wenn er zur verabredeten Stunde einmal ausblieb. Er hatte sehr viel Zeit für sie, ging mit ihnen aus und versicherte lachend, sein Geschäft habe er so gut geölt, daß es auch ohne ihn auf Touren liefe. Er riet ihr immer wieder, ihr Barvermögen in dieses gut geölte Geschäft zu stecken , 56 sie würde ihr Geld in Kürze verdoppeln können. .. Mein Mann hat es immer abgelelmt , Geschäfte zu machen , ,die über Nacht reich machten'! " „Deshalb hat er es ja auch nie zu großem Reichtum gebramt " , lachte Wolf. Und Ann lachte, ein wenig leiser, mit. An diesem Nachmittag gingen sie alle drei spazieren, als ihnen ein Herr begegnete, den Wolf grüßte. Es sei ein Studienfreund von ihm gewesen, sagte er erklärend. Sie hätten zusammen die Universität besucht. Und Wolf ahnte nicht, daß ·auch Ann diesen Herrn kannte und genau wußte, daß er niemals studier t hatte. Und ebenfalls an diesem Nachmittag hatte Wolf, als er ihr Eis bezahlen wollte, sein Geld vergessen. „Zu dumm, Ann, da ich anschließend noch etwas Wichtiges kaufen wollte ! Kannst du mir bis zum Abend hundert Mark leihen?" Ann konnte es . Dod1 an diesem Abend kam Wolf nicht mehr. Auch am nächsten Tag rief er nur an und entschuldigte sich mit dringenden auswärtigen Gesd1äften. Er lügt, dachte Ann und verbesserte sich dann sofort selbst : er schwindelt! Aber die kleine ·dumme Erinnerung an die Amaryllis hatte sie wohl hellhörig gemacht. Dann, acht Tage später erst, kam Wolf zum Mittagsessen. Am1 hatte sich vorgenommen, ihn um Rückgabe des Geldes zu bitten. Es sollte ein letzter kleiner Prüfstein sein . ,. Was für Geld, Ann? " .. Das im dir neulim lieh, Wolf." ., Ach ja, du gabst mir fünfzig Mark, das hab ich doch total vergessen!" ,.Hundert ", sagte Anns Junge. Ann lächelte, aber sie fühlte zugleich einen kleinen nagenden Schmerz in der Gegend des Herzens. Aus, wußte sie. Aber es hätte schlimmer kommen könn"en. „Amaryllis ", sagte A1111 leise und schien mit ihren Gedanken von weit her zu kommen. „Amaryllis ? Wer ist das? " fragte der Junge. „Eine ägyptische Königin ", rief Wolf sofort. Da lachte Ann, und es klang vie l freier als all die Zeit bisher.

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