Und wieder, als der Tunnel den Wagen, darin Maria saß, verschluckt hatte, tauchte in dem Eisenbahner , die bittere Frage auf: Kommt sie zurück? Aber dann jubelte Gewißheit in ihm: Ja, sie kommt zurück. Als Maria ,an ihr Ziel kam, stand Josef Bruck am Bahnhof. · Das mußte so ·sein - vor vier~ehn Tagen hatte sie ihm beiläufig erzählt, daß sie an diesem Tag hier Besorgungen werde .machen müssen. Sie kam stets mit dem Morgenzug und fuhr am späten Abend wieder zurück. Josef. hoffte, daß es einmal anders sein würde, daß sie den letzten Zug in die Berge versäume und hier bleiben müsse, wo sie außer ihm keinen Menschen kannte. Sie waren Landsleute, alte Bekannte aus Marias Mädchenzeit. Kinder der großen, reichen Stadt im Norden . Ihn, Josef, hatte das Schicksal hierher als Bankbeamten verschlagen und er fand die kleine Stadt nicht minder öde als die junge Frau ihre Felsenstation. Maria lachte gern und freute sich. Irgend etwas entspannte sich in ihr, wenn sie aus dem Graben entschlüpfen, an der Seite des jungen, hübschen Menschen durch die Gassen gehen konnte. Sie nahm seine Huldigungen spielerisch entgegen und wehrte allzu große Eindeutigkeiten scherzend ab. Sie wollte den einzigen Freund dieser ersehnten Stunden in der Stadt nicht· verlieren; er war ihr weniger scharf umrissene Persönlichkeit als vielmehr Symbol des reicheren Lebens , das ihr versagt war . Sie mad1ten die nötigen Besorgungen, aßen in einem Gasthof und besuchten dann ein Kino. Hier war es behaglich und mollig zu sitzen, denn draußen. stürmte es, in dicken weißen Schwaden kam der Schnee geflogen und von den nahen Bergen klang das Grollen der Lawinen herüber. Als sie aus dem Lichtspieltheater traten, sah Josef besorgt auf die Uhr. ,, Nun wird es aber Zeit, daß wir zur Bahn gehen. Sonst versäumst du den Zug." Das war sonst nicht seine Art, im Gegenteil, mit allen möglichen Listen hatte er sich stets bemüht, sie einmal den Zug versäumen zu lassen. Die Vorstellung dieser Möglichkeit stand wie eine drohende, düstere Gefahr vor ihr. Und dennoch war ihr manchmal, als ob die Stunde kommen würde, da sie vor Grauen über ihre Einsamkeit dieser Gefahr erliegen konnte. Aber heute dachte auch er nicht daran. Heute verstand · sogar der leichtherzige, unbedenkliche Josef, daß Maria den Zug nicht versäumen durfte. Und dann schlugen ihr die Worte eines Bahnbediensteten wie eine Welle von Eis ins Gesicht: ,,Die Bergstrecke ist beim Wärterhaus Buchberg von einer Lawine verschüttet. Wird erst morgen früh frei. " Sie war Eisenbahnersfrau, sie wußte, was das bedeutete, tat keine der törichten Fragen. Und als sie aus dem Stationsgebäude ins Freie trat, kam ihr zum Bewußtsein, ·daß Josef noch immer neben ihr war. Sie .wollte ihn nicht ansehen. Sie fühlte, wie sich das Schicksal riesengroß vor ihr aufreckte, vor ihr, di e ganz allein war in dieser ·fremden Stadt, niemanden kannte als den jungen Menschen . Sie blickte erst auf, als sie trostlose Worte der Verlegenheit in seiner Stimme hörte: ,,Peinlich ist das - gerade heute! - Im bin nämlim - du mußt verstehen, - bei meinem Chef zum Abend eingeladen." Sie hörte Unwahres aus dem Klang seiner Worte. Und rasm tauchte es vor ihr auf, es gab reime Bürgerstöchter in diesem Nest, man lud junge Männer ein, zu denen man nahe Beziehungen hatte. Plötzlich fiel eine Maske: ,,Ich weiß einen Ausweg. Um zehn Uhr etwa werde ich frei sein - verbringe die Zeit unterdessen im Kaffeehaus, ich hole dich dann ab." Tonlos sagte sie: ,, Ja, ja", sah ihm nach, wie er befreit, fröhlich davonging. - Das war nun auch zu Ende. Sie damte gar nimt daran, in das Kaffeehaus zu gehen. Sie setzte sim in den Wartesaal, namdem sie in der Bahnhofswirtsmaft einen Imbiß genommen hatte. Das Heulen des Sturmes drang gedämpft herein, die große Uhr über der Tür wirkte beruhigend. Aus einer Ecke des dämmerigen Raumes kam ein leises Singen - ein uraltes und doch'. immer lebendiges Lied. 50
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