An diesem Abend behi elt Andreas die Kunde von der Wiederkehr der Versdiollenen für sich. Er saß mit ihnen noch lange in der Stube bei sammen und hieß sie erst nach Mitternacht, in ihre Kammern zu gehen. Als Gunthilde am Morgen darauf über die Stiege herabkam, herrschte große Aufregung in der Stube. Ellie stand weinend in der Tür, die Kinder aber packten die Habe zusammen, während ihnen die Tränen über die Wangen kollerten. „Was habt ihr denn vor?" fragte Gunthilde. Ellie und die Kinder starrten sie an wie einen bösen Geist. Andreas trat vor und sagte: ,,Ellie, die Kinder und ich ~ wir ziehen fort. Das Haus ist dein Eigentum!" Daß der Tag ihrer Erlösung solchen Kummer über sie selbst und ü'ber die anderen bringen würde - daran hatte sie in all den Jahren, da sie inbrünstig um ihre Wiederkehr betete, nicht gedacht. Sie wünschte fast, die Hiebe der Äxte hätten ihr den Tod gebracht, denn die Kinder, die ihr Bündel packten, um den Hof zu verlassen, der ihre Heimat war, erbarmten ihr zutiefst. So faßte sie einen raschen Entschluß. Mit den Kindern an den Händen trat sie vor Andreas hin und sagte: ,,Wenn du mit deiner Hände Fleiß nicht den Hof gerettet hättest, wäre es sdilecht bestellt um meine Habe! Bleibt hier! Das Haus ist euer Eigentum! Mir ist es genug, ·wenn ich an eurem Tisch essen kann wie ~ine Magd!" Jauchzend packten die Kinder ihre Bündel wieder aus. Das Tagewerk nahm seinen Lauf, doch die Kunde von der Wiederkehr der Verschollenen verbreitete sich in der ganzen Gegend, sodaß jeden Tag Neugierige kamen, um Gunthilde, die Eltern und Seb.ald zu bestaunen. Nach etlichen Tagen faßten Gindrader und Mechthilde den Entschluß, doch einmal einen Besuch in den Gehöften der Umgebung zu machen U11d die alten Gefährten ihrer früheren Tage zu begrüßen, denn von den Menschen, die auf den Hof kamen, kannten sie die wenigsten und selbst diese nur aus einer Zeit, da sie fast noch Kinder gewe~en waren. So wanderten s_ie frohgemut fort, aber von mal zu mal wurden sie gedrückter, denn fast nirgends mehn fanden sie einen Menschen, dem sie wie früher die Hand schütteln konnten . ,, Es ist nicht mehr unsere Zeit! " sagte der Gindrader. ,, Sie starren uns an, als wären wir von den Toten auferstanden!" fügte Mutter Mechthilde hinzu. Wie Fremde wurden sie behandelt, wie Fremde fühlten sie sich selbst. Von Schritt zu Schritt packte sie die Müdigkeit des Lebens mehr. Für die Arbeit wurden sie nicht mehr gebraucht, zum Faulenzen hatten sie sich zeitlebens nicht geeignet. Auf dem Friedhof, wohin sie schließlich gelangt waren, um die Gräber der Nachbarn zu suchen, sagte Mechthilde: ,, Hier ist unser Platz. Wir wollen den Herrgott bitten, daß er uns bald fortnimmt von der Erde!" So schritten sie von Grab zu Grab, tauchten die Segenzweiglein in das geweihte Wasser und sprengten auf jedes Grab ein paar Tröpflein . Und als sie am letzten Grab angelangt w~ren und überlegten, wohin sie nun ihre Schritte lenken sollten, kroch eine Eidechse hinter einem Grasbüschel hervor, regte naseweis das Köpfchen und sagte: ,, Ihr habt mich gerufen?" Mutter Mechthilde klammerte sich erschrocken an den Bauern, de1111 daß sie von einer Eidechse angesprochen wurden, kam ihr selbst nach dem Zauberspuk, der ihnen widerfahren war, höchst sonderbar vor, und sie fürchtete neues Unheil. ,, Ihr habt mich gerufen?" wiederholte die Eidechse. Der Gindrader schüttelte sein graues Haupt und erwiderte: ,, Das ist mir nicht erinnerlich!" ,,Habt ihr nicht den Wunsch geäußert, die Zeit möge euch von de r Erde fortnehmen?"
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