Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1963

Er betrachtete die Birke eine ganze Weile und fuhr dann fort : .,Wir werden den Baum fällen, denn das Holz ist gut für Hacken- und Schaufelstiele!" Ellie schaute zum Teiche hin und sagte: ,, Dann können auch die Weiden einmal abgeholzt werden". Gunthilde begann zu beben, daß alle Blätter zitterten. Was würde mit ihr geschehen, wenn die Säge ins Holz schnitt? Allmählich faßte sie sich. Denn wenn ihr auch ein schmerzvoller Tod beschieden wäre, so würde sie doch endlich von ihrem Leide erlöst. Im Spätherbst, als die Blätter schon -abgefallen waren, kamen zwei Knechte mit einer Säge und mit Axten. Sie fällten die Birke und wunderten sich, welch Stöhnen und Seufzen aus dem Holze drang. Danach sdmitten sie auch die Weidenstrünke ab. Am Abend kamen) sie mit einem Fuhnverk wieder und brachten die zerschnittenen Stämme auf den Holzplatz hinter dem Gehöft. Gunthilde fühlte sich in viele Stücke zerschnitten, sodaß es ihr schwer wurde, einen einigermaßen klaren Gedanken zu finden, und sie wußte nicht, war diese Dämmernis ihrer Sinne das nahende Ende oder der Beginn zu neuer Verwandlung. Nach Einbruch der Dunkelheit, als das Hofgesinde an der Schüssel saß, begannen die Birkenseheiter zu knacken und zu knistern. Sie sprangen in tausend Stücke, und als das letzte Scheit zersplissen war, stieg Gunthilde im vollen Brautschmuck, schön wie vor dreiundzwanzig Jahren, aus dem Holze. Andreas hatte die Leute zu Bett geschickt und -saß noch allein in der Stube. Im Schein der Lampe blätterte er in den Rechnungsbüchern. Er rührte sich nicht, als dieTür langsam aufging, weil er glaubte, Ellie sei noch einmal zurückgekommen. ,,Andreas! " flüsterte Gunthilde. Der Bauer hob den Kopf. Er erschrak so heftig, daß er aufsprang und den Stuhl zurückschleuderte. Er glaubte, ein Gespenst zu sehen, das ihn täuschen wollte, aber die Erscheinung erfüllte ihn mit solchem Glück, daß er dem Mädchen en tgegenschritt. ,, Du kannst mich anfassen! " ermunterte ihn Gunthilde. Erst rührte er ihren Finger an, dann tastete er über ihre Hand und schließlich, als er überzeugt war, kein Trugbild, sondern Gunthilde wahrhaft vor sich zu haben, umschlang er sie mit solcher Inbrunst, wie sie nur durch den Schmerz jahrelanger Trennung das Herz bewegen kann. Immer wieder bedeckte er ihr Gesicht mit Küssen, und Gunthilde ließ es geschehen. Er küßte ihr die Tränen von den Wangen und dachte in diesem Augenblick nicht daran, daß es nicht nur Tränen des Glückes, sondern auch Tränen des Leides sein könnten, die Gunthilde weinte. ,, Jetzt ist alles gut ", sagte er. GunthiJde verneinte mit einer traurigen Bewegung des Hauptes. Er begriff nicht sogleich und starrte Gunthilde verwundert an, doch das Mädchen fuhr fort: ,,Wäre es dir doch in den ersten sieben Jahren in den Sinn gekommen, die Birke unten am Teiche zu fällen! Nun dürfen wir nichts. mehr gemeinsam haben! " · Andreas schlug die Hände vors Gesicht, denn mit einemmale war ihm klar,. daß die Wiederkehr der verschollenen Braut das Übel noch verschlimmerte. Gunthilde strich ihm tröstend über das Haar, während sie noch Tränen vergoß: .,Es ist mir Glück genug, daß ich wieder Hände und Füße gebrauchen und mit den Menschen reden kann! Jetzt wollen wir sehen, was mit den Eltern und dem getreuen Sebald geschehen ist!" Sie verließen die Stube und wollten auf den Holzplatz gehen, da kamen ihnen der Gindrader mit Mechthilde und gleich darauf auch Sebald entgegen, alle drei in den Festkleidern, mit denen sie zur Hochzeit gefahren waren. 43

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