Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1963

., Vielleicht ist sie vom Weg abgekommen und in einen Moortümpel gestürzt", meinten die einen, und die anderen fügten hinzu: ,,Das wäre nicht das erstemal. aber man müßte doch noch Fahrspuren finden!" Tagelang wurde die Gegend nach Wagenspuren abgesucht. Nirgends aber wurde abseits des Weges auch nur der geringste Abdruck von Rädern oder Pferde-- hufen entdeckt. Die Leute gingen wieder an ihr Tagwerk, Wochen und Monate verstrichen, und allmählich wurde nur mehr selten über das Verschwinden des Hochzeitswagens gesprochen. Andreas aber saß düster in der Stube des Steinbühelhofes und rührte keinen Bissen an. Er war nach wenigen Tagen so schmal geworden, daß ihm die Anverwandten zuredeten, er soll doch wieder essen und trinken, denn Gunthilde hätte keine Freude, wenn sie ihn nach ihrer Rückkehr halb verhungert vorfinden würde. Das Gerede · von der Rückkehr war ein schaler Trost für Andreas, denn er glaubte selbst nicht mehr, daß sich die Dinge wieder zum Guten wenden würden . aber er langte lustlos wieder nach dem Essen und tat seine Arbeit wie, früher. Trotzdem waren .seine Gedanken immerzu bei Gunthilde; er brachte an einem Tag kaum fünf Worte aus dem Mund. Eines. Tages kam der Bürgermeister zum Steinbühelhofe und packte Andreas an den Schultern. ,,So geht das nicht weiter!" sagte er und schüttelte Andreas nach Kräften . ., Wach doch auf aus deinem Trübsinn! Auf dem Gindraderhof, den du übernehmen solltest, sind die• Knechte und die Mägde ratlos, weil niemand da ist, der ihnen die rechte Arbeit anschafft. Geh hin, gebiete ihnen als Bauer, und eines Tages, wenn Gunthilde zurückkommt, wird sie ihren Besitz in gutem Zustand wiederfinden. Oder willst du, daß der Hof verwahrlost?" Das wollte Andreas fürwahr nicht, und so befolgte er den Rat des Bürgermeisters. Er spannte die Pferde ein und begann noch am selben Tag aüf dem Gindrader Hof zu schalten und zu: walten wie der Bauer. Aber wie sah er aus, wenn er zur Arbeit ging: um Jahre gealtert, mit Furchen in der Stirne, gebeugt wie ein Greis. Tag und Nacht rackerte er sich ab, denn wenn er schuftete, daß er zum Umfallen müde war, fand er kaum Zeit, dem Unheil. das ihn getroffen hatte, nachzugrübeln. 'Er konnte nicht wissen, daß Gunthilde- alle seine Schritte außerhalb des Hauses beobachtete. Auch in der Gestalt der Birke hatte sie die, Fähigkeit behalten, die Vorgänge ringsherum wahrzunehmen. Sie konnte sogar die Stimmen hören und die Worte verstehen, doch selbst zu rufen vermochte sie nicht. Der Sommer verglühte, der Herbst kam ins Land und bald fielen die ersten Nebeltage ein. Gunthilde bemerkte, wie sich das Laub verfärbte und schließlich abfiel. und jeden Tag immer mehr spürte sie eine rätselhafte Müdigkeit in ihrem hölzerl')en Leib. Sie versank schließlich in einen Schlaf, der fünf Monate dauerte, der Winter ging darüber hin, und als sie eines Tages wieder erwachte, war der Schnee geschmolzen. · Gunthilde empfand in diesen Tagen eine warme Freude, die sie sich zunäd1st nicht erklären konnte, doch diese hing wohl mit den frischen Blättern zusammen, die allenthalben an ihren · Asten sprossen. Sie gewöhnte sich jedoch an ihr neues Kleid und verlor die Freude am Sprießen I deSi Lenzes, weil sie den Andreas fast jeden Tag sah, aber nicht rufen konnte. Manchmal freilich, besonders in den lauen Nächten des Sommers, meinte der - Andreas, er habe seinen Namen rufen hören. Er ging der leisen Stimme nach, denn es war ihm nicht anders zumut, als wäre es die Stimme Gunthildes gewesen. Wenn er aber am Teich anlangte, waren die lockenden Laute nichts anderes gewesen als das Singen des Nachtwinds, der durch die Aste der Weiden strich. 41

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