Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1963

Sebald wendete das Gespann und trieb die Rosse zur Eile an. Mechthilde und der Bauer reckten in einemfort die Hälse, um nach bekannten Gegenden Ausschau zu halten, aber so sehr sie auch die Augen anstrengten: Der Weg, die Hügel und die Felder waren Ihnen fremder als zuvor. Gunthilde weinte leise vor sich hin, denn nun wartete Andreas wohl schon eine ganze Stunde lang vor der Kirche. Kein Mensch · befand sich auf den Feldern , den sie hätten um Rat fragen können, und auch nach einer weiteren halben Stunde zeigte sich keine Kapelle. Sebald wandte sich um und sagte : ,,Da hat der Teufel seine Hand im: Spiele!" Und wie er sich umdrehte, riß der Bauer die Augen auf und rief entsetzt: ,. Sebald, was ist mit deiner Nase geschehen! Das ist ja keine Nase mehr! Das ist ein . schwarzer K1Jollen !" Sebald griff sich bestürzt an die Nase, und in der Tat: sie war zu einem unförmigen Klumpen angewachsen. Zugleich starrte er den Bauern an und schrie: ,,Dein ganzer Kopf hat sich verändert! Der sieht ja aus wie ein Weidenstrunk!'' Im nächsten Moment fuhr er mit den Händen nach seinem eigenen Kopf, denn er spürte ein Reißen und Bersten, als würde sein Kopf zerspringen. Die Haare begannen so steif zu wachsen, daß sie den Hue emporhoben. ,, Der ganze Wagen ist verhext! " brüll te er in unbeschreiblicher Angst, sprang vom Wagen und zerrte Gunthilde aus der Kutsche . Mechthilde und der Gindrader sprangen ebenfalls vom Gefährt und standen ratlos beieinander. Und wie sie mit den Füßen · auf dem Boden standen, war ihnen auch die Gegend wieder bekannt . Sie standen auf dem Moorboden nächst dem eigenen Gehöft, unmittelbar neben dem schwarzen Teich. „Das ist purer Zauberspuk! " wollte Sebald rufen, aber die Stimme erstarb "ihm in: der Kehle. Seine Füße1 wuchsen mit Wurzeln in die Erde, sodaß er auch nicht mehr davonlaufen konnte, urid gleicherweise erging es dem Bauern und seiner Frau Mechthilde. Ehe es ihnen noch recht zu Bewußtsein gekommen war, waren sie in finstere Weidenstrünke verwandelt . Gunthilde schrie halb irr vor Entsetzen und lief davon. Sie kam aber nur wenige Schritte weit . Auch sie spürte, wie ihre Füße in die Erde hinunterwuchsen und nicht mehr loszureißen waren. Während sie noch zerrte und schrie, tauchte der Fluderneck aus dem Wasser des Teiches und kroch zu ihr hin. ,, So bist du nun in meiner Gewalt! " knirschte er. ,, Aber ich will die Bosheit nod1 eimnal in Güte verwandeln und auch dein e Leute wieder von den Wurzeln befreien, wenn du zu mir in den Teich zi ehst! " „Nie und nimmer! " schrie Gunthilde und streckte die Arme voll Abscheu von sich. Wie sie aber die Arme wegstreckte, verwandelten sich diese schon in Äste. Ihr ganzer Körper wurde dünner und . wuchs in die Höhe, bis sie schließlich gänzlich in eine Birke verwandelt war. Sie stand etwas abseits\ von den Weidenstrünken, die in langer Reihe das Teichuter säumten. Niemand konnte mehr unterscheiden, ·welche zuvor schon dort gestanden waren und welche von ihnen verwunsdiene Menschen waren. Du Teichmann hockte neben der Birke und sagte : ,,Jährlich einmal will ich kommen, um dieselbe Zeit in einer Vollmondnacht, und dich in deine wahre, Gestalt zurückrufen. Willst du zu mir in den Teich ziehen, so hat der Spuk ein Ende. Weigerst du dich, so . bleibst du ein weiteres Jahr in der Birke! " Der Teichkönig krodi zurück und stürzte sich in das Wasser. Vor der Kird1e · standen die Mensd1en ratlos beisammen und beredeten stundenlang das Ereignis. Niemand konnte sich denken, weshalb die Hochzeitskutsche nicht ans Ziel gekommen war. Die Kned1te waren sd1on i;um Hof zurückgelaufen und hatten aud1 unterwegs gefragt, ob jemand über den Verbleib des Wagens Bescheid wußte, aber ihre Auskunft, daß kein Mensch den Wagen auch nur zu Gesicht bekommen hatte, machte die Sache noch rätselhafter. 40

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