Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1963

Er war nahe daran, alle Vorsicht vermissen zu lassen und bis vor Gunthildes Kammerfenster vorzudringen, selbst wenn es ihm das Leben kosten würde. Schließlich aber, ain Sonntag darauf, fand er eine leichtere Möglichkeit, mit Gunthilde zu reden, denn die. Bauersleute und die Dienstboten waren zur Frühmüsse in die Kirche ·gegangen und nur Sebald, der Altknecht, sowie Gunthilde waren zurückgeblieben. Sebald lag noch oben in der Kammer in seinem Bett, Gunthilde putzte in der Küche das Geschirr und begann darauf, sich festlich zu kleiden, da Andreas mit dem Pferdegespann kommen und sie in die Kirche fahren würde. Gunthilde trat mit einem Schaff aus dem Tor. Der Teichkönig huschte hinter dem Stamm des Nußbaumes, den er als Versteck benützt hatte, hervor und packte Gunthilde am Arm. Sie erkannte den Wassermann sofort wieder und zitterte am ganzen Leib. ,,Was willst du von mir? " keuchte sie. ,, Laß· mich los!" „Der Anlaß ist wichtig!" zischte der Teichkönig. ,, Du hast nur kurze Zeit zu überlegen . Komm zu mir in den Teich! . Du sollst die Gattin ~irres Königs , aber nicht die Frau eines Bauernlümmels werden! " Da konnte sich Gunthilde des Lachens nicht erwehren. ,, Ein solch~r König reizt mich nicht! " sagte sie. Der Teichmann tat, als hätte er dies überhört, und fuhr fort: ,, Seit ich dein goldenes Haar und dein Gesicht gesehen habe, bin ich krank vor _Verlangen nach deiner Nähe. Von Sonnenaufgang bis nach Sonnenuntergang werde ich dein Haar liebkosen, wir hören zu jeder Stunde das Rieseln des Wassers, und wenn der Mond tiber den Wiesen aufsteigt, sitzen wir hinter den Weiden und betrachten die Nacht ... " . Gunthilde lachte wieder : ,, Dein Angebot ist wohl sehr verlockend, wie du meinst? Das ganze Leben lang soll ich an der Seite eines schlarhmigen Fergels hocken? Laß mich in Ruhe , du Scheusal! " Mit einem kräftigen Ruck entwand sie sich dem Griff des Wassertiers und rannte ins Haus . Sebald, der Altknecht, war wachgeworden und hatte die Stimmen vor dem Haus gehört. Er polterte nun über die Holzstiege herab und fragte mißtrauisch: ,, Mit wem hast du gerade gesprochen?" Gunthilde wandte den Blick ab und sagte: ,, Mit wem soll ich gesprochen haben? Es ist doch außer dir niemand hier! " Sebald ließ nicht locker und fuhr eindringlich fort: ,, Du kannst mich ·nicht t äuschen , an deiner Verlegenheit merke ich, daß . du etwas verheimlichst. leb habe deutlich zwei Stimmen gehört, die deine und eine andere, die absonderlich quäckte !" ,,Nun gut, ein Bettler war hier! " erwiderte Gunthilde schnell . Sebald ;chüttelte den Kopf. ,,Es war kein Bettler!" sagte er. ,,Es war ein Mann, der vom Heiraten sprach und dich dem Andreas abspenstig machen wollte. Hast du irgendwelche Geheimnisse, jetzt noch, wenige Tage vor der Hochzeit?" Gunthilde schwieg und machte sich am Spiegel zu schaffen. Sebald trat nahe an sie heran und raunte ihr ins ·Ohr : ,, Du weißt sehr wohl, daß Andreas mein Vetter ist und wir. in bestem Einvernehmen stehen. Wer hat euch denn zusammengeführt? War es nicht ich, der dem Andreas geraten hat, er möge steh um did1 bewerben? Darum bitte ich dich : Laß keine Geheimnisse bestehen hinter dem Rücken des Andreas! " Gunthilde nickte, Tränen · traten ihr dabei in die Augen. ,, Sebald", sagte sie, „ich habe solche Angst! " Sie ließ sich auf die Bank niederfallen und enthüllte dem Altknecht die volle Wahrheit . ,,Du erinnerst dich noch", begann sie, ,, wie ich vor Jahren, als ich nod1 zur Sdrnle ging, die Geschichte vom Fluderneck erzählte? Niemand hat m.ir geglaubt, ,du nicht und auch die anderen nicht . Jetzt hast du seine Stimme gehört. ,,Du weißt, was der Fergel von mir verlangt. Ich soll zu ihm in den Teich zfehen,' statt den Andreas zu heiraten. Ich habe ihn 11usgelacht und fürmte jetzt. daß er Rache nimmt ." 38

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