Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1963

Des Teichkönigs Verlangen wurde so ungestüm, daß er bald jede Vorsicht außer acht ließ und nach Einbruch der Dunkelheit über · die Wiesen bis zum Gehöft hin watete. Er ver-steckte sich in den Holundergebüschen vor Gunthildes Kammerfenster und ließ die Augen nicht mehr von den Fensterscheiben, bis innen das Licht aufflammte und er die Umrisse des Mädchens für eine kurze Weile bemerken konnte . Mitunter geschah es auch, daß sie noch eine Weile im Fenster lehnte und die Nacht betrachtete. Da glaubte der Teichkönig, die Brust müßte ihm zerspringen unter den wilden Schlägen seines Herzens. Der Fluderneck trieb seine heimliche Betrachtung so lange, bis er schließlich doch entdeckt wurde. Gunthilde bdnerkte eines Abends den Umriß eines großen Kopfes im Holunderbusch und schrie sogleich nach den Mägden. Auch Florian der Knecht, stürzte ins Zimmer und trug bereits einen dicken Haselsteckeu in der Hand. „Jemand war vor meinem Fenster! " keuchte Gunthilde. ,,War es nicht ein Dieb, so war es jemand anderer, der etwas Böses im Schilde führt!" Als sie dies sagte, fingen die Mägde zu kichern und zu tuscheln an und steckten die Köpfe zusammen. ,, Was habt ihr denn? " fauchte Gunthilde böse. Florian, der eben°falls ein verschmitztes Lächeln unterdrückte, sagte: ,, Vielleicht war es nur ein Mann, der dich gerne heiraten möchte? " Gunthilde geriet abermals in Zorn und wiederholte : ,,Es war ein Dieb! Ein Dieb! " -Von einer Heirat wollte sie noch nichts horen, und doch kannte sie einen hübsd1en Burschen, ·der ihr gefiel, das war Andreas, der Sohn vom Steinbühelhofe, aber sie hatte noch: kein Wort mit ihm gesprod1en und wußte daher nid1t, ob auch sie ihm gefiele. Florian, der unschlüssig in der Tür stand und den Stecken noch in der Hand hatte, sagte bedächtig: ,, Wenn es also doch ein Dieb war, wie du meinst, dann müssen wir ihn fangen , aber sei auf der Hut, daß wir nicht deinen Hochzeiter -verprügeln! " Florian rief zwei weitere Knechte herbei. Zu _dritt machten sie Jagd auf den geheimnisvollen Besucher. Der Teichmann hockte noch immer unter dem Holunderbusch und hüpfte erst weg, als · sie mit den Stecken an. die Stauden sd1lugen. ,, Dort läuft er!" schrie Florian und setzte in langen Sprüngen über die Wiese. Der Fluderrieck erkannte, daß er den Verfolgern nicht entwischen konnte, und duckte sich in ein Schlammloch. Gleich waren die Verfolger über ihm. Florian wollte ihn emporzerren, aber als er die klebrige Haut des Fergels anfaßte, packte ihn der Ekel. ,,Laßt ihn liegen, aber gebt ihm eine gehörige Tracht Prügel! " Hageldick sausten die Knüppelschläge auf den Teichkönig nieder, und er ertrug sie ohne einen Wehlaut. Endlich glaubten die Knechte, sie hätten der Gerechtigkeit genüge getan, und kehrten _ins Haus zurück. ,,Habt ihr ihn gefunden? " fragte der Bauer, der noch in ·der Stube saß. ,, Wer ist es gewesen? " „Wer es gewesen ist, wissen wir nicht ", antwortete Florian. ,, Wir sahen 11ur einen schwarzen Körper, der in ein Schlammloch sprang, und als ich den Kerl fassen wollte, war er schon so morastig, daß id1 ihn wieder fallen ließ. " · Unterdessen schleppte sich der Fludemeck mit schmerzenden Gliedern in den Teich zurück. Dort hockte er drei Wochen lang auf dem schleimigen Grund, bis er wieder genesen war. In seiner Erbitterung schwor er sich, das Böse, das ihm widerfahren war, auch mit Bösem zu vergelten . Er ging äußerst vorsid1tig zu Werke, als er die Glieder wieder gebrauchen konnte , aber nun ließ er, weder bei lag noch bei Nacht, das Gehöft nid1t mehr _aus den Augen. Nur wenn die Sonne niederbrannte und seine Haut austrocknete, sprang er in den Teich. Schon am Nachmittag, lange vor Sonnenuntergang, kroch er wieder hervor und kletterte 36

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