So kam es, daß Gunhilde noch eine ganze Weil~ am Teichufer stehen blieb und darauf wartete, daß sich der Wassermann entfernte. Dieser aber starrte sie nlli' an, ohne eine Bewegung zu machen. Das Poltern eines Erntewagens gab ihr schließlich den Mut, an dem Teichmann vorbeizulaufen. ,, Florian! " schrie sie. ,,Florian! " · Ganz atemlos langte sie am Hofe an. ,, Was hast du denn?" fragte der Knecht. ,, Hat dich jemand erschreckt? " Gunthilde schaute mit scheuem Blick zum Teich hinunter, und da wußte der Knecht, daß sie trotz des Verbotes am Wasser gewesen war. ,, Du wirst gewiß noch ertrinken! " schalt er. Gunthilde aber bat ihn, er, möge es nicht den Eltern sagen, denn sie werde es ganz gewiß nicht wieder tun. Dann erzählte sie ihn von der absonderlichen Begegnung mit dein Schuppenmann. Florian hörte sich Gunthildes aufgeregtes Gestammel an, schüttelte sd1ließlich den Kopf und erwiderte ungläubig: ,, Entweder erzählst du mir eine ausgewachsene Lügengeschichte oder du bist einer dummen Einbildung zum Opfer gefallen!" Weil Gunthilde bd de~ Knecht keinen Glauben fand, erzählte sie dieselbe Geschichte am Abend auch den Mädchen, die weit eher geneigt waren, das Auftauchen des Wassermannes für wahr zu nehmen, und schließlich gestand sie auch den Eltern, daß sie am Teich gewesen war. Lieber wollte sie Schläge einstecken als das Erlebnis in ihrem Kopf herumzutragen und keinen Glauben zu finden. Gunthilde bekam keine Schläge, doch wurde sie abermals ernsthaft ermahnt, nicht vom Wege abzusd1weifen. Zwar glaubten auch der Gindrader und Mutter Mechthilde dem Kinde nicht, doch hörten sie aufmerks_am und voll gespielter Überraschung zu. Schließlich hob der Gindrader den :Zeigefinger und sagte: ,, Du siehst also, wie · gefährlich es ist, sich dem Wasser zu nähern! Die Wasserleute sind heimtückisch. Sie sdlmeicheln dir und haben dod1 nur ·die Absicht, did, im Teiche zu ertränken!" Die Mägde tusdlelten noch lange und riefen sich alte Geschidlten ins Gedächtnis, in denen ebenfalls von Wasserleuten die Rede war. Der Fischmann, wie Gunthilde ihn gesehen hatte, war, wie die Überlieferung besagte, ein „Fludemeck", also eines jener Wasserwesen, die mitunter auch in die Fluder, das sind die Gerinne der Mühlen, hineinkriechen und mit ihren · Körpern den Wasserlauf verstopfen, so daß die Mühlwerke plötzlich zum Stehen kommen. Man nannte diese böswilligen Wasserwesen auch Fergler oder Fergel; - warum eigentlich, das wußten die Mensdlen nicht mehr, weil diese Bezeichnungen gewiß schon viele hundert Jahre alt waren. Gunthilde ging nie wieder zum Teidle. Sie entwuchs der Schule und wurde mit den Jahren ein Mädchen, das von allen Nadlbarn bewundert wurde. Der Teichmann aber hatte seit dem Tage, da er das Mäddlen aus der Nähe gesehen hatte, weder Rast noch Ruh . Fast jeden Abend, wenn die Hitze des Tages gebrochen war, hockte er unter den Weidenstrünken und schaute zum Hause hin, weil er wußte, daß Gunthilde mit den Mägden noch aus der Tür trat und sich aut die Wiese setzte, .um sich an der Kühle des Abends gütlich zu tun . Mit Trauer erfüllten ihn die Wintertage, da er in der Tiefe des Teiches eingefroren war und wieder Monate warten mußte, bis er das Mädchen neuerlidi zu Gesicht bekam. Die größte Freude bereitete es ihm, .wenn Gunthilde am frühen Morgen, da das Gras nod1 naß war, mit den Mägden an die Arbeit ·ging und die Wiesen mähte. Er versteckte sich im hohen Gras, konnte Gunthilde ganz aus der Nähe betraditen und hüpfte erst fort, wenn die Sensen schon fast an seinen Flossen schwirrten. Er ging dabei so vorsichtig zu Werke, daß er niemals entdeckt wurde. Und wenn die Mädchen dennoch flüchtig einen Körper durm das Gras hüpfen sahen, so glaubten sie, ein Hase sei aus dem Versteck geflohen, und amteten gar nicht auf ihn. 35
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