„Geh nid1t zu nahe zu den Teichen hin! " mahnte Mutter Mechthilde noch immer, als Gunthilde schon stattlid1 herangewachsen war und bereits zur Schule ging. Gunthilde hielt sid1 an diese Weisung, aber das stete Verbot reizte ihre Neugier immer mehr und sie dachte: Was kann denn geschehen, wenn ich mich vorsichtig an den Teich herantaste? Noch nie hatte sie das Wasser des Teiches aus der Nähe betrachtet, und eines Tages, zur Erntezeit, als alle Hofleute auf dem Feld waren, verließ sie den Weg. Sobald sie das schwarze Wasser des Teiches sah, begann ihr Herz wild . zu klopfen, die düsteren Weidenstrünke flößten ihr Angst ein, glichen sie doch Mäm1em mit großen Köpfen, von denen die Weidenruten wie steife Haare wegstanden. Gunthilde sprad1 sich Mut zu, denn nun wollte sie den Teich einmal ganz aus· der Nähe sehen. Sie faßte die Weidenstrünke scharf ins Auge, bis sie getrost war, daß sie keine Zauberwesen, sondern nur wirklich verknorrte Weidenbäume waren. Gunthilde trat v9rsichtig an das Wasser heran, und siehe da : Es schien durchaus nicht böswillig zu sein, sondern sogar recht freundlich, denn es breitete sich wie ein Spiegel von Ufer zu Ufer. Sie mußte sogar von Herzen lachen, denn der schwarze Teich warf- ihr Gesicht genau so deutlid1 zurück wie der Glasspiegel an Mutters Wandschrank. Plötzlich hörte Gunthilde ein Geräusch in den Grashalmen hinter ihrem Rücken. Sie wagte sich nicht umzudrehen. Sie hätte kaum eine Bewegung der Gegenwehr gemacht, selbst wenn sie jemand hinterrücks in den Teim gestoßen hätte. Das Geräusch verstummte, dom nach einer Weile ließ sich eine schmeichelnde Stimme .vernehmen. ,,Du bist ein schönes Kind, deine Haare glänzen im Sonnenlicht, aber ich habe es nie gewagt, über die Wiese zu gehen, um dich aus der Nähe zu betrad1ten. " Gunthilde stand nom immer schreckensstarr. ,, Du brauchst keine Angst zu haben", fuhr die Stimme smmeichelnd fort. ,,Ich bin der Teichkönig und beherrsche das Wassergetier in diesen Böden. Wenn du die Güte hast, dem Teimkönig eine Freude zu machen, so will ich nur ein wenig deine Haare streicheln!" Das Gras rasmelte wieder, zugleich spürte Gunthilde, wie eine nasse Hand nam ihrem Haupt tastete. Da endlich drehte sie sich um und stieß zugleim einen solch gellenden Schrei aus, daß der Teimkönig zurücktaumelte. Was sie sah, jagte ihr den Ekel in die Kehle. Das Wesen, das sich qls König der umliegenden Teiche bezcidmete, hatte die Gestalt eines riesenhaften Frosches, über und über mit Sdrnppen bedeckt. An den Armen und den Beinen trug er stamelige Flossen. Was Gunthilde aber vor allem ersmreckte, war, der unförmige Kopf des ,Wassermanns, denn der Mund war so breit, daß es smien, als klaffte sein' ganzer Kopf auseinander, wenn er redete, und die Augen waren klein und rund und glotzten wie di e' Augen eines Fismes. Gunthilde wurde von Abscheu gesmüttelt, als sie daran damte, der Wassermann könnte i11it seinen klebrigen Pfoten wieder nach ihren Haaren greifen. „Lisa, die Magd, die mir täglich die Haare bürstet, hat mir streng verboten, die Haare naß zu machen ", sagte sie, denn sie war ein kluges Kind und versuchte, sich den Wasermann gütlich vom Leib zu halten. ,, Es ist mir überhaupt verboten", fuhr sie fort, ,,hieher an den Teich zu gehen, und wenn im mit nassen Haaren zurückkomme, kriege im Hiebe! " Der Teichkönig glotzte sie mit trübseligen Augen an und sagte: ,, Du sollst meinetwegen keine Hiebe bekommen. Wenn du nom ein wenig bleibst, will ich wenigstens dein Gesicht betramten ... ". 34
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