Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1962

JEDER MENSCH IST LÜGNER Es ist ja fast nirgends eine Wahrheit auf Erden, lauter Lugen. Gestern Lugen, heunt Lugen, morgen Lugen, gered'te Lugen, geschriebene Lugen, gedruckte Lugen, kleine Lugen, große Lugen, dünne Lugen, dicke Lugen, kurze Lugen, lange Lugen, deutsche Lugen, welsche Lugen, französische Lugen, Männerlugen, Weiberlugen, Bubenlugen, Kinderlugen, Dienstbotenlugen, Staatslugen, Kaufleutelugen, Handwerksleutelugen, Burgerlugen, Bauernlugen, Hauerlugen usw. Mein! Sagt mir: Welcher ist wohl der ärgste und schädlichste Teufel? Es gibt allerhand Teufel: Luzifer - ein hoffärtiger Teufel; Asmodäus - ein unzüchtiger, unkeuscher Teufel; Astaroth und Mammon - ein geldgeiziger Teufel; Behemot - ein viehischer Teufel; Belphegor - ein stinkender Teufel; Beelzebub - ein unflätiger Teufel; Belial - ein zankender Teufel usw. Wer will alle Teufel zählen? Der ärgste und schädlichste Teufel aber ist der Lugenteufel; diesen nennt der hl. Chrysostomus: Sathael, als welcher die erste Lug in das Paradies gebracht und unsere leichtgläubigen Eltern so fälschlich dahin beredet, daß sie geglaubt , sie werden in Genießung der Frucht des Baumes augenblicklich Götter werden. Es lügen die Handwerksleute: Der Tischler verspricht den Kasten übermorgen, ist lang um die Arbeit geloffen; das Geld, das hat er schon halb versoffen, wenn ein viertel Jahr herumlauft, hat er noch kein Brett kauft. Der Schuster macht lauter blaue Montag, verspricht die Schuh auf künftigen Sonntag; wenn dann die Schuh sollen fertig sein, so kauft er erst das Leder ein. Der Binder arbeitet den ganzen Tag zu Haus, hobelt die alten Schaufeln ab und madJt ein neues Faß •daraus; die Reif, welche schwinden, kann er meisterlich binden; man bezahlt es ihm bar, ist doch nur eine alte War. Der Sdunied und Schlosser tut nid1t feiern, kann das alte Eisen wieder · trefflich erneuern; der erste macht Wagenschienen, der andere Schlösser und Band, die tun ein wenig schimmern, gehen aber bald wieder zu Trümmern. Der Bäck schwört bei seiner Seel. er nimmt das weißeste Mehl. mischt unterdessen schwarz und weiß untereinander, den Teig netzt er immer mehr, so wiegt das Brot desto schwer ; endlich ist des Bäcken, des Schalken, sein Brot ein lauterer Dalken. Ein Metzger oder Fleischhacker macht durch die ganze Wochen sich seinen Gewinn mit Beiner und Knochen; wenn man vermeint, das Kälberfleisch· sei gut ·und frisch, kommt ein stinkendes Kuhbrätel auf den Tisch. Was ich bishero von den Handwerkern geschrieben, sollen sie sim keineswegs verdrießen lassen, denn sie sind wie der evangelische Acker, in welchem nicht lauter Weizen, sondern auch viel Unkraut gewachsen. Rechtschaffene und gewissenhafte Handwerksleut werden sich um diese Sdlrift nicht annehmen, sonsten möchte man die Vögel aus ihren Federn erkennen. Es finden sidJ wohl noch mehr, welche die Wahrheit sparen, nämlidl : Die Kauf- und Handelsleut. Manmer Kaufmann verspricht vor gewiß, dieser und jener Zeug sei aus England oder aus Paris, ist ganz und gar zart von: Faden, liegt aber smon 10 J 3chr in dem Laden. Bei etlidlen Kauf- und Handelsleuten ist das Lügen und Schwören so gemein, wie bei den Schwaben ,der Haberbrein. Manche Menschen gleichen verderbten Uhren; wenn der Zeiger auf drei steht, so schlägt der Hammer. zwölf. Mandle Mensdlen sind den· übermalenen Gräbern gleid1, welme auswendig voll Gold, inwendig voll Kot. Manme Mensmen sind den Puppen oder Kinderdocken gleim - auswendig stolz, inwendig Holz. 61

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