Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1962

L eo p o I d v. Sa d1 e r - M a so d, Am Lagerfeuer Es war während des ebenso blutigen wie heroischen Feldzuges, in welchem General Bern die Russen aus Siebenbürgen hinaustrieb, und es war der Abend vor einer Schlacht. So wie die letzte Stunde vor dem Tode, macht auch jene vor der Schlacht die Menschen redselig. An einem Lagerfeuer hatten sich magyarische und polnische Offiziere auf ihren Mänteln ausgestreckt, die Branntweinflasche machte die Runde, und cin jeder erzählte mehr oder minder ausführlich eine Geschichte oder döch eine bedeutsame Szene aus seinem Leben. Nur einer zeigte sid1 schweigsam und teilnahmslos . Es war ein Rittmeister der polnischen Ulanen , Pan Wistezki. Er saß , in sich gekehrt, abseits von den anderen, und seine blauen Augen starrten fast geis terhaf t in die roten Flammen, welche an den riesigen Holzstücken des l.agerfeuers leckten und emporflatterten . „Nun, Camil" , begann einer seiner Landsleute, ,, und du, du erzählst uns nichts? Ich bilde mir ein, du hast am meisten auf dem Herzen unter uns, und deine Geschichte müßte die interessanteste sein." ,, Vielleicht, vielleicht auch nicht. " ,, Erzähle nur, laß uns entscheiden/" ,, Ja, ja, erzählen Sie nur/ " riefen die Magyaren. „Meine Geschich te ist aber weder amüsant noch he iter" , sagte Wistezki. ,, Und überdi es ist es ei ne jener, die man gerne für sid1 behält ." „Id1 habe es also erraten", sprach der andere Pole, ,, daß es ein trauriges Geheimnis ist, das du mit dir herumträgst, aber willst du es auch mit dir begraben? Wer kann es sagen, wen von uns morgen die russisd1en Kugeln verschonen? " ,, Du hast recht. " ,, Also erzähle!" ,, Ja , erzählen Sie. " „Es sei !" Wistezki warf die Zigarre weg, rückte näher an das Lagerfeuer und begann: ,, Es ist nicht lange, daß id1 verheiratet bin." ,, Sie sind verheiratet?" „ Ich bitte, mich niclit zu unterbrechen, sonst ve rliere ich den Faden. Td1 bin kein guter Erzähler. " ,,Also? " Der Rittmeister fuhr fort: Meine Frau, ich will sie nur mit ihrem Taufnamen Wilka nennen, war ein Kind, als ich sie zum Altare führte. Man behauptete, daß sie reizend und anmutig sei, man pries ihren Geist, ihr Herz, ein junger Poet besang sie. Id1 weiß nicht, ob sie schön ist, ich habe sie so sehr geliebt, daß ich blind war und kein Urteil habe. Zwei Jahre ve rgingen, ohne daß Gott uns mit einem Kinde beschenkte - umsomehr schlossen wir uns aneinander und weihten unsere Sorge, unsere ganze Kraft dem Vaterlande, das damals einen neuen Versucli wagte, die verlorene Freiheit und Selbständigkeit zuriick zu erringen. Es versteht sich ja bei einem Polen wie bei : einem Ungar von selbst, daß er ein guter Patriot ist und keinen Augenblick zögert, alles, was er besitzt, ja sein Leben, der geliebten Erde, die ihn gebar, zu weihen und zu opfern . 47

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