Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1962

Wer von den dam_aligen Offizieren ~ürde nicht zugeben, daß er der russischen_ Frau c/.en schönsten, den kostbarsten Lohn zu danken habe? . .. In dieser glanzvollen Zeit nun lebte Marja Gawrilowna mit ihrer Mutter in dem Gouver.nement N ... ; aber sie erlebten es nicht mit, wie die Rückkehr des Heeres von beiden Residenzen gefeiert wurde. Allein in den Provinzkreis_en und auf den Gütern war die allgemeine Begeisterung vielleicht noch größer. Wenn ein Offizier in diesen Gegenden erschien, so feierte er wahrhafte Triumphe und die Liebhaber im Zivilfrack kamen gegen diese Nachbarschaft überhaupt nicht auf. Wie bereits bemerkt, war Marja Gawrilowna trotz ihrer Kälte nad1 wi e vor von Bewerbern umringt. Sie alle mußten aber zurücktreten, als in ihrem Schloß der verwundete Husarenhauptmann Burmin, mit dem Georgsorden im Knopfloch, ein Mann von ,interessanter Blässe', wie die jungen Damen der Umgebung zu sagen pflegten, erschien. Er mochte etwa sechsundzwanzig Jahre alt sein . Er befand sich auf Urlaub auf seinen Besitzungen, die in der Nad1barsd1aft von Marja Gawrilownas Landgut lagen. Marja Gawrilowna zeichnete ihn sehr aus. Die ihr sonst eigene Nachdenklid1keit machte in seiner Gegenwart einem lebhafteren Wesen Platz. Man hätte nicht sagen können, daß sie mit ihm kokettierte; würde aber ein Dichter ihr Benehmen beobachtet haben, so hätte er gesagt: Se amor non e, -ehe dunque? ... Burmin war in der Tat ein sehr lieber junger Mensch. Er hatte gerade jene· Art von Geist, die den Frauen so wohlgefällt: Sinn für das, was sich schickt, und Beobachtungsgabe, ohne jede Anmaßung, ein sorgloser Spötter. Seine Art mit Marja Gawrilowna umzugehen war sd1licht und ungezwungen. Aber gleidwiel, was sie sagen oder tun mochte, seine Seele und seine Blicke folgten ihr überallhin. Obschon er einen stillen, bescheidenen Eindruck madite, wollte man doch wissen, daß er in früheren Jahren ein unglaublicher Draufgänger gewesen wäre; aber das schadete ihm in Marja Gawrilownas Augen nicht, die (wie überhaupt alle jungen Damen) Unarten gerne verzieh, wenn sie Kühnheit und Temperament verrieten. Vor allem aber . . . (mehr als seine Zartheit, mehr als seine Unterhaltungsgabe, mehr als die interessante Blässe, mehr als der bandagierte Arm) mehr als dies· alles reizte das Schweigen des jungen Husaren ihre Neugierde und ihre Einbildungskraft. Sie konnte nicht umhin, sich selber einzugestehn, daß sie ihm sehr gefiel; wahrscheinlich hatte aber auch er mit seinein Geist und mit seiner Erfahrung wahrnehmen können, daß sie ihn auszeichnete; warum hatte er denn aber nod1 nid1t zu ihren Füßen gelegen, warum hatte sie noch kein Geständnis von ihm vernommen? Was hielt ihn zurück? Befangenheit, die ja von wahrer Liebe nicht zu trennen ist, Hod1mut oder das berechnende Wesen eines sd1lauen Lebemannes? Das war für sie ein Rätsel. Nach gründlicher Überle'gung kam sie zu der Ansid1t, daß eben nur Befangenheit der einzige Grund für sein Verhalten sein könne, und so beschloß sie denn, ihn durch größere Aufmerksamkeit und, je nach den Umständen, selbst durch Zärtlichkeit zu ermutigen. Sie bereitete eine gänzlich überraschende Lösung vor, und voller Ungeduld wartete sie auf den Augenblick, der das romantische Geständnis bringen würde. Das Geheimnis, gleichviel welcher Art, ist dem weiblichen Herzen stets eine drückende Last. Ihr taktisches Vorgehen bramte ·den gewünschten Erfolg: , jedenfalls verfiel Bui:min in ein derartiges Grübeln, und seine schwarzen Augen hafteten mit einem solchen F~uer an Marja Gawrilowna, daß es den Anschein ·hatte, der entscheidungsvolle Augenblick könne nimt mehr ferne sein. Die Nachbarn sprachen schon··von der Hochzeit als von einer ausgemaditen Sache, während die gute Praskowja Petrowna selig war, daß ihre Tochter mm endlich einen ihrer würdigen Freier gefunden habe. Einmal saß die alte Dame allein im Salon und legte eine große Patience; da kam Burmin in das Zimmer und· erkund-igtesich sogleich nach Marja Gawrilowna. ,,Sie ist im Garten",. erwiderte die alte Frau, ,, gehen .Sie .zu ihr; ich . erwarte Sie hier." Burmin entfernte sid1; die Greisin bekreuzigte sich und dachte im stillen: ,,So Gott ·will, kommt die .Sache heute zum Abschluß!'' 40

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2