Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1962

Nachdem wir das Fräulein der Vorsorge des Schicksals und der Kunstfertigkeit des Kutschers Terjoschka überantwortet haben, wollen wir uns nunmehr unserem jungen Liebhaber zuwenden. Wladimir war den ganzen Tag über unterwegs gewesen. Am Morgen hatte er den Priester von Shadrino aufgesucht ; mit Mühe und Not war es ihm gelungen, diesen zu überreden. Dann hatte er sich auf den Weg gemacht, um unter den benachbarten Gutsbesitzern Trauzeugen ausfindig zu machen. Der erste, den er aufsuchte, war ein vierzigjähriger Kornett außer Dienst, ein gewisser Drawin; dieser war sofort bereit. Dieses Abenteuer, so sagte er, erinnere ihn an die gute alte Zeit und an die bekannten Husarenstückchen. Er überredete Wladimir, bei ihm zu Mittag zu speisen, und er beteuerte, es wäre ein Kleines, aud1 die beiden andern Trauzeugen aufzutreiben. In der Tat erschienen gleich nach dem Essen der Landmesser Schmidt, sporenklirrend, mit langem Schnurrbart, und der Sohn des Polizeihauptmanns, ein Bursche von etwa sechzehn Jahren, der erst vor kurzem in ein Ulanenregiment eingetreten war. Sie erklärten sich nicht nur bereit, auf Wladimirs Vorschlag einzugehen, sondern schworen auch, sie würden ihr Leben für ihn opfern. Wladimir drückte sie voll Begeisterung an seine Brust und fuhr nach Hause, um seine Vorbereitungen zu treffen. Die Dämmerung senkte sich herab . Er schickte seinen zuverlässigen Terjoschka mit dem Dreigespann nach Nenaradowo; dabei gab er ihm ausführliche Anweisungen. Für sich ließ er den kleinen, einspännigen Schlitten anspannen und fuhr selber, ohne Kutscher, nach Shadrino, woselbst nad1 zwei Stunden auch Marja Gawrilowna eintreffen sollte. Er kannte den Weg gut; für die Fahrt braud1te man knapp zwanzig Minuten. Allein, Wladimir war kaum über die Dorfgemarkung hinaus, als sid1 sclion im Felde ein heftiger Wind erhob, und nun setzte ein Schneetreiben ein, daß er überhaupt nichts zu sehen vermochte. Im Nu war. der Weg verweht; die Umgegend verschwand in trübem, fahlem Dämmerlid,t, durch welches große weiße Schneeflocken wirbelten ; der Himmel versd1111olz mit der Erde; Wladimir war aufs Feld geraten und bemühte sich vergeblich, den Weg wieder zu finden ; das Pferd tappte aufs Geratewohl voran., und bald fuhr der Sd1litten eine Schneewehe hinan, bald sackte er im Graben ab ; immer wieder geschah es , daß der Schlitten umschlug. Wladimir war nur darum bemüht, die Riditung nid1t zu verlieren . Dennoch schien ihm, er wäre nun sd1on über eine halbe Stunde unterwegs; aber den Wald von Shadrino hatte er noch immer nicht erreid1t. Es vergingen weitere zehn Minuten; vom Wald e war inuner noch nichts zu sehen. Wladimir fuhr über Felder, die von tiefen Schluchten durchfurcht waren. Der Schneesturm tobte nach wie vor; der Himmel klärte sich nicht auf. Das Pferd begann zu ermatten ; er selber war in Schweiß gebadet, obwohl er immer wieder bis an die Hüfte im Schnee versank. Endlich merkte er, daß er in der Richtung geirrt hatte . Er machte halt ; er überlegte, suchte sich zu erinnern, kombinierte und kam zur Überzeugung, daß er red1ts fahren müsse. So fuhr er denn nach· rechts. Sein Pferd schleppte sich mit Mühe voraus. Nun war er schon länger als eine Stunde unterwegs. Nach Shadrino konnte , es gewiß nicht mehr weit sein. Dennoch fuhr er und fuhr, aber das Feld wollte und wollte kein Ende nehmen. Immer wieder nichts als Sdmeewehern und Schluchten; der Sdllitten kippte unaufhörlich, und unaufhörlich richtete er ihn wieder auf. So ging die Zeit dahin; Wladimir wurde von einer mächtigen Aufregung befallen. Endlich war seitab etwas Schwärzlich-Aufragendes zu gewahren. Wladimir lenkte das Pferd darauf zu. Beim Näherkommen sah er: es war der Wald. Gott sei Dank, dachte er bei sich, jetzt ist es nicht mehr weit! Er fuhr den Waldrand entlang in der Hoffnung, sogleich auf den wohlbekannten Weg zu stoßen, oder um den Wald herumzufahren: Shadrino lag m1mittelbar dahinter. Bald hatte er den Weg gefunden und fuhr nun in die Düsternis der vom Winter entlaubten Bäume hinein. Der 35

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