Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1961

~ltbewäl,tte~ Cßefunb l,eit~te~evt Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Vögel doch manchmal auch alle,rlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen gottlob der arme Mann nichts weiß ; denn es gibt Krankheiten , di e nid1t in der Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln und Gläsern und in den weichen Sesseln und seidenen Betten, wie jener reiche Amsterdamer ein Wort davon reden kann. Den ganzen Vormittag saß er im Lehnstuhl und r~ud1te Tabak, den ganzen Nad1mittag a!i und trank er ebenfalls. Davon bekam er zuletzt einen dicken Leib, der so unbeholfen war wie ein Maltersack. Essen und Schlaf wollten ihm nimmer sd1mecken, und er hatte 3 65 Krankheiten -:-: nämlich alle Tage eine andere. Alle Arzte, die in Amsterdam sind, mußten ihm raten , und man nannte ihn zuletzt scherzweise nur die zweibeinige Apotheke. Aber alle Arzneien halfen ihm nichts; denn er befolgte nicht, was ihm die Ärzte befahlen, sondern sagte: ,, Zum . Donnerwetter, wofür bin ich ein reicher Mann, wenn ich solJ leben wie ein Hund, und der Doktor will mich nicht gesund machen für mein Geld? " Endlich hörte er von einem Arzt, der hundert Stunden weit weg wohnte ; der sei so geschickt, daß die Kranken gesund werden, wenn er sie nur recht anschaue, und der Tod gehe ihm aus dem Weg, wo er sich sehen lasse. Zu dem Arzt faßte der Mann ein Zutrauen und schrieb ihm seinen Umstand. Der Arzt merkte bald, was ihm fehle, nämlich nicht Arznei, sondern Mäßigkeit u. Bewegung, und sagte: ,, Wart, dich will id1 bald kuriert haben. " Deswegen sd1rieb er ihm ein Brieflein folgenden Inhalts: ,, Guter Freund , Ihr habt ' einen schlimmen Umstand, dod, wird Euro zu helfen sein, wenn Ihr · folgen wollt . Ihr habt ein böses Tier im Baud,, einen Lindwurm mit sieben Mäulern Mit dem Lindwurm muß id1 reden, und 1hr müßt zu mir kommen, aber auf Schusters Rappen , sonst beißt Euch der Lindwurm die Eingeweide ab. Fürs zweite dürft 1hr nicht mehr essen, als zweimal des Tages einen Teller Gemüse. Was Ihr mehr eßt, davon wird nur der Lindwurm größer ... " Als der Patient so mit sich reden hörte, ließ er sid1 sogleich die Stiefel s~1mi~ren und machte sid, auf den Weg, wie ihm der Doktor befohlen hatte. Den ersten Tag ging es so langsam, daß wohl eine Schnecke hätte kö1111en sein Vorreiter sein, und wer ihn grüßte, dem dankte er nicht, und wo ein Würmlein auf der Erde krod,, das zertrat er. Aber sdion am zweiten und dritten Tag kam es ihm vor, als wenn die Vögel schon lange nimmer so lieblich gesungen hätten, und alle Leute sahen so freundlid1 aus, und er auch. Und alle Morgen, wenn er aus der Herberge ausging, wars schöner, und er ging leid1ter und munterer dahin. Als er am 18. Tage in der Stadt des Arztes ankam un.d den anderen Morgen aufstand, war es ihm so wohl, daß er sagte: ,, Ich hätte zu keiner ungeschickteren Zeit können gesund werden als jetzt, wo id1 zum Doktor soll. Wenns mir doch nur ein wenig in den Ohren brauste oder das Herzwasser lief mir! '' Als er zum Doktor kam, sagte er: ,,Herr Doktor, mir fehlt gottlob nid1ts!" und der Doktor meinte: ,, Der Lindwurm ist jel'zt abgestanden, aber Ihr habt noch Eier im Leib. Deswegen müßt 1hr wieder zu Fuß heimgehen und daheim fleißig Holz sägen und nicht mehr essen als Euch der Hunger ermahnt, damit di; Eier nicht ausschlüpfen; so könnt Ihr ein alten Mann werden. " Und er läd1elte dazu.' Der reiche Fremdling aber sagte : ,, Herr Doktor, 1hr seid ein feiner Kauz, und ich versteh Euch wohl", und hat n:ichher dem Rat gefolgt und 87 Jahre, 4 Monate, 10 Tage gelebt, wie ein Fisch im Wasser, so gesund, und hat alle Neujahr dem Arzt 20 Dublonen zum Gruß geschickt. Joi1a1111 Peter Hebel 67

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