Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1961

Provi zitterte. Eine fremde, unwide r~tehliche Macht ergriff ihn, umwirbelte ihn wie ein Sturm. Sie warf ihn ni eder, sie zwang ihn, sein Gesicht auf das Gesicht des toten Hundes zu pressen und ihn zu küssen und zu liebkosen. Sie wars, die aus ihm schrie... Jo. du! Jo, du! - du bist a Muatta gwes t! ". Sein Herz wollte ihm zerspringen, ei n Strom von wildem Leid, von quälend er Pein durchtobte es und ersd1ütterte es bis auf den Grund . Ein vom himmlisd1en Schmerze des Mitleids erfülltes Kind wand si ch schluchzend auf dem Boden und weinte um die alte Spitzin und weinte über ihr Kleines, das · sich an seine Mutter drängte und sie anwinselte ·un d Nahrung suchte a n dem früher schon so spärlich fließenden und jetzt gänzlich ve rsi egten Quell . ,.'s ist aus, da kriegst nix mehr ", sagte Provi, nahm das Hündchen in seine H änd e, legte es an seine Wange und hauch te es an; es zit terte und winselte g3r so kläglich . .. Hunger hast, Hunger hast, no jo , no jo! " - Was anfangen mit dem anve rtra uten Gut ? Verfluchter Kuckuck, we1m doch noch di e Ziegen da wären! Er würde eine melken, er täts, trotz der sd1recklichen Strafe, die drauf steht. Aber die Z iegen sind fort, und bis ihm jemand im Wegemacherhaus einen Tropfen Milch für ei nen Hund schenkt, da kann er lang warten. ., Ins Wasser dermit! " wirds heiß en , so ba ld sie hören, daß die Spitzin tot ist . „Ins Wasser kummst ", sagte er zum Hündd1en, das etwas von dem guten Glauben der Mutter an ihn geer bt haben mußte, es sd1111iegte sich an seinen Hals, saugte an seinem Ohrläppchen und klagte ihm seinen Hunger mit Stöhnen und Wimmern. ,.No jo !" - er wußte sd1on, nur wie zu helfen wäre, wußte er nich t . vVas soll er ihm zu essen geben? Um zu vertragen, was er hinunterschlingt, dazu 1<ehör t ein anderer Magen, als so ein Kleines hat . . . Aber - verflud1te Krot! - _jetzt kam ihm eine Eingebung, jetzt wußte er auf einmal doch, wie zu helfen wäre. Aber - verflucht e Krot ! Dieses Mittel konnte er .nicht ergreifen - lieber verhungern . Der Entschluß stand eisenfest in se inem oberösterreichischen Dickschädel .. . Freilid1 dämmerte ihm eine Erkenntnis auf, von der er gestern keine Ahnung gehabt hatte - verhungern lassen ist noch etwas ganz anderes als verhungern. Das Kleine gab das Saugen am Ohrläppd1en auf; davon wurde es ja doch nicht satt. In stiller Verzweiflung schlossen sich seine kaum dem· Lichte geöffneten Augen, und Provi fühlte es nu r nod1 ga nz leise zittern. Gequält und scheu blickte er zur to ten Spitzin n ieder. Ja, wenn das Jun ge leben soll, darf man die Mutter nicht erschlagen. ,. No, so kumm !" stieß er plötzl id1 hervor und sprang aus dem Stall in den Versch lag und schritt resolut vorwärts und dem Dorfe zu, biß die Zähne zusammen, daß ;ie knirsd1ten, sah nicht recht noch links und ging unaufhaltsam weiter. Nod1 rührte sich nichts a uf den Feldern, erst in der Nähe der Häuser fin g es an , ei n wenig lebendig zu werden. Ein sd1laftrunkener Bäckerjunge schritt über die Straße zum Brunnen, der Knecht des Lohbauers spannte einen dicken Rotschimmel vor den Streifwagen. Aus dem Tor des Wirtshauses kam die alte Magd, von jeher Provis erklä rte Feindin. Voll Mißtrauen beobachtete sie sein Herannahen, erhob di e Faust und befahl ihm, si ch zu packen. Ihn störte das nicht, er ging an ihr vorb~i wie einer, der mi t dem Kopf durch die Wand will. Finster und entschlossen, das Kinn auf die Brust gepreßt, trat er durch die offene Küd1entür. Die Wirtin, die am Herde stand, wandte sich . .. ., Grad zum Fürchten" sah der Bub aus, und seine Stimme klang so rauh und hatte etwas so Sd1111erzhaftes, als ob ihr Ton die Kehle zer ri sse, durch die er gepreßt wurde: ,. Sehoberwirtin, Frau Sd1oberwirtin , i bitt um a Müald1. " Das war die Wendu ng in einem Menschenherzen und in ei nem Mensd1enschicksal. 41

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2