Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1961

Von Maria ]i,'bner- E.~ch enb a eh Hilflos i11 die Welt gebannt, Selbst ein Rätsel mir, fn dem schalen Unbestand , Ach, was soll ich hier? - Leiden, armes Me nsche nkind , Jede Erden not, Ringen, armes Menschenkind, Ringen um den Tod. Zigeuner waren gekommen und hatten ihr Lager beim Kirchhof außerhalb des Dorfes aufgeschlagen. Die Weiber und Kinder trieben sich bettelnd in der Umgeb ung herum, die Männer verrichteten allerlei Flickarbeit an Ketten und Kesseln und. bekamen die Erlaubnis, so lange da zu blei ben, a ls sie Beschäftigung finden ko nnten und einen kleinen Verdienst. Diese Frist war noch nicht um ; eines Sommermorgens aber fand man die Stätte, an der die Zigeuner gehaust hatten, leer. Sie waren fortgezogen in ihren mit zerfetzten Plachen überdeckten, von jämmerlichen Mähren geschl ep pten Leiterwagen . Von dem Aufbruch der Leute hatte niemand etwas gehört noch gesehen ; er mußte des Nachts in aller Stille stattgefunden haben. Die Bäuerinnen zählten ihr Geflügel, die Bauern hielten Umschau in den Scheun en und Ställen. Jeder meinte, die Landstreicher hätten sich etwas von seinem Gute angeeign et und dann die Fh,1cht ergriffen. Bald ·aber zeigte sich, daß di e Verdächtigten nicht nur nichts entwendet, sondern sogar etwas dagelassen hatten. ]in hohen Grase neben der K irchhofmauer lag ein splitternacktes Knäblein und schlief. Es konnte kaum zwei Jahre alt sein und hatte eine sehr weiße Haut und spärl iche hellblonde Haare. I?ie Witwe Wagner, die es entdeckte, als sie auf ihren Riibenacker ging, sagte gleich, das sei ein Kind , das die Zigeuner, Gott weiß wann, Gott weiß wo, gestoh len und jetzt weggelegt hatten, weil es elend und erbärmlich war und ihnen ni ema ls ni.itzlid-i werden konnte . Die alte Wagnerin hatte es zu sid1 genommen und ihre Armut mit ihm geteilt, nicht nur aus Gutmütigkeit, sondern auch in der stillen Hoffnung, daß seine Eltern einmal kommen würden in Glanz und Herrlichkeit, es abzuholen und ihr hundertfach zu ersetzen, was sie für das Kindlein getan hatte. Aber sie starb nach mehreren Jahren, ohne den erwarteten Lohn ein geheimst zu haben, und jetzt wußte niemand, wohin mit ihrer Hinterlassenschaft - dem Findling. Ein Armenhaus gab es irn Dorfe nicht, und die Barmherzigkeit war dort auch nicht zu Hause. Wen um Gottes wi ll en ging das halbv erhun gerte Geschöpf etwas an, von dem man nicht einmal wußte, ob es getauft war? .. Einen christlichen Namen darf man ihm durdrnus nicht geben", hatte der Küster von Anfang an unter allgemeiner, Zustimmung erklärt ; aber auf die Frage der Wagnerin : .. Was denn für einen?" keine Antwort gewußt. ,.Geben S' ihm halt einen provisorischen", war die Entsche idun g gewesen , die endlich der Herr Lehrer getroff en , und die halb taube Alte hatte nur die zwei ersten Silben verstanden und den · Jun gen Provi und nach seinem Fundorte Kirchhof genann t . Nach ihrem Tode waren alle darüber einig, daß dem Provi Kird1hof nichts Besseres zu wünschen sei als eine recht baldige Erlösung von seinem jämmerlichen Dasein. Der Armselige lebte vom Abhub, kleid ete sich in Fetzen - abgelegtes Zeug, 36

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