Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1960

Kripperlspieler loiort dollien Ich war damals unausgegoren wie frisch gepreßter Traubensaft. In jener be¬ merkenswerten Lebensperiode also, wo eben ein zarter Flaum über der Oberlippe meine heraufdämmernde Männlichkeit anzeigte, mied ich ängstlich jede auffallende Lebensäußerung. Als zukünftiger Stern am österreichischen Lyrikerhimmel verfaßte ich, während uns ein Professor den Geheimnissen der Gleichungen näher bringen wollte, auf den blauen Umschlagseiten des Mathematikheftes zarte Gedichte, in denen es von Lenzeslüften und Balsamdüften nur so „wuselte“. Dieses Beginnen konnte natürlich auf die Dauer nicht unentdeckt bleiben und als man daraufkam, verfolgten die gestrengen Patres meine dichterischen Bestrebun¬ gen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Pater Cölestin, ein ehemaliger oberösterreichischer Bauernsohn, der sich in seiner Freizeit der klösterlichen Schweine¬ zucht widmete, kleidete dies prosaisch in die Worte: „Ja mei Liaba, wannst feierlich werd'n willst, dann muaßt in a Hungerschul geh'n und in koa Klosterschul'! Nur Pater Zacharias bildete da eine rühmliche Ausnahme. Obwohl er bereits fast neunzig Jahre alt war und seinen Lebensabend nur mehr beim Auffädeln von Rosenkränzen verbrachte, hatte Pater Zacharias für meine Dichtkunst eine besondere Schwäche, was wieder seine Mitbrüder barmherzig als Altersschwäche auslegten. Während nun Pater Zacharias seinen Zwicker auf seiner krummen Bauernnase sitzen hatte und mühsam die Rosenkranzperlen auf einer Schnur aneinanderfädelte, hörte er andächtig meinen dichterischen Worten zu. Zeigte sich der gute Pater Za¬ charias von einem Gedicht besonders ergriffen, dann zog er aus der unergründlichen Tiefe seiner schwarzen Kutte ein Stück Kuchen oder einen rotbackigen Apfel hervor, welche Gaben er sich von seinem Mittagmahl sichtlich für solche Zwecke erübrigte. In diesem Sinne waren meine ersten literarischen Versuche in der Klosterzelle bei Pater Zacharias keineswegs uneigennütziger Art. Meine freundschaftlichen Bezie¬ hungen zu Pater Zacharias waren demnach die denkbar besten. Nur einmal erfuhren sie eine ernstliche Trübung. Als ich nämlich an einem Vorweihnachtstag mit der Vorlesung eines Winter¬ gedichtes geendet hatte, überraschte mich Pater Zacharias mit der Mitteilung, daß er mich bei Pater Vinzenz als Mitwirkender für das diesjährige Krippenspiel vor¬ geschlagen habe. Als richtiger Lyriker, der das dramatische Fach haßte, traf mich diese Nachricht wie ein Keulenschlag. Ich beschwor Pater Zacharias von seinem Vorhaben Abstand zu nehmen und führte mein Lampenfieber ins Treffen. Der neunzigjährige Pater blieb indes starrköpfig bei seiner Einteilung. Ja und dann machte ich halt als Statist mit. Als heiliger Georg mußte ich hinter einem Fels bei der Krippe Wache halten. Was mich einigermaßen versöhnte, war der Umstand, daß ich nichts zu sprechen brauchte. Als St. Georg hatte ich einen Blechpanzer um, der immerhin seine zwanzig Kilo wog und schwer auf meinem Körper lastete. Auch der blinkende Helm drückte enorm auf meine Dichterstirne. Überdies war das Stehen und Schauen in den vollen Zuschauerraum hinein auf die Dauer langweilig und höchst unbequem. Ich empfand, daß selbst ein Heiliger, auch wenn er wie der Heilige ein Ritter war, es nicht immer bequem hatte auf dieser Welt. Das Eisenblech drückte auf die Schul¬ 35

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